b) Tradition und Konvention der kulturellen Form "Wissen" Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
In Theorien zur Kultur wurden bisher vielfältige Kulturdefinitionen erfunden [hierzu Thurn 1979]. Deshalb möchte ich nochmals den für Bilder verwendeten Kulturbegriff verdeutlichen, obwohl erst später [s.S. 237 (Kultur und Gesellschaft)] aufgezeigt wird, wie er anderen Kulturbegriffen nahesteht. Kultur verstehe ich ganz allgemeingültig als die Segmentierung und Sedimentierung von Zeichen. Man könnte ebenfalls im klassischen Sinne sagen: Kultur definiert sich über kollektive Sinnkonstruktionen, mit denen Menschen ihre Wirklichkeit interpretieren [hierzu Neidhardt 1986/11; Tenbruck 1989/45ff.; 1990/28ff.]. Wie an anderer Stelle [s.S. 131, 138] bemerkt, unterscheide ich Kultur von Gesellschaft, indem Kultur den syntaktisch-semantischen Signifikationscode für gesellschaftliche Verständigungsabsichten langfristig regelt und bereithält. Dieser kulturelle Code wurde als die »Semiotik der Signifikation« verstanden. Demgegenüber wurden mit der »Semiotik der Kommunikation« die gesellschaftlichen Kommunikationsabläufe erfaßt, die Bedeutungen im Interpretanten aktualisieren. Gesellschaft ist demnach auf Kultur angewiesen, so wie Kultur nicht ohne eine Bedeutungsaktualisierung von gesellschaftlichen Akteuren verwendet werden kann. Kultur ist trotzdem nicht mit Gesellschaft identisch, sondern beide stehen in einem wechselseitigen Austauschverhältnis. Dieses besteht darin, daß, wenn eine Gesellschaft für handelnde Individuuen einzelne Kulturformen institutionalisiert, diese Formen stets die im weitesten Sinne als Wissen interpretierte Kultur sein werden. Dementsprechend wäre die auf Bilder verkürzte Kultur die, die eine jeweils aktuelle Interpretationsgruppe (-gesellschaft) mit interpretationsmöglichen Zeichenformen und Objektbezügen versorgt. In Interpretationen und Reformulierungen modifizieren sich kulturelle Zeichenformen wieder: Kultur ist immer eine Wanderdüne, auf deren Grat sich Gesellschaft vom Wasser fernhält. Daher möchte ich unter Tradition der Kulturformen etwas verstehen, was eine Gesellschaft im »Sinn der Form« als Konvention [s.S. 172] weiterhin reformuliert. Traditionen greifen demnach diachronische Wandlungsvorgänge auf, indessen Konventionen eine vergleichsweise kurze Zeit beschreiben, in der sich aktualisierte und synchronische Codes stabilisieren.

Der Kulturbegriff wankt zwischen zwei diskutierten Positionen. Entweder wird Kultur eher materialistisch als die Gesamtheit der Erscheinungs-Formen der menschlichen Tätigkeiten (Artefakte) beschrieben, oder Kultur wird eher kommunikationstheoretisch als die Gesamtheit von Verhaltenskonfigurationen (Mentefakte) verstanden, die anhand von "immateriellen" Interpretationen über Generationen hinweg in aktualisierten Gesellschaften übermittelt werden. Mit dem semiotischen Repertoire, welches bisher erarbeitet wurde, kann man deutlich erkennen, daß die Kulturdefinitionen sich darum drehen, entweder die Formen des Materials, also präsente und repräsentierende Mittel zu analysieren, oder die tradierten Objektbezüge, die interpretierte Semantik, näher zu betrachten. Erste Blickrichtung verdeutlicht, daß formierte Materialien (z.B. Maschinen), die zur Handhabung bereitstehen, eine Absonderung aus dem Kulturbegriff zurückweisen. Deshalb ist es inhaltlich und begriffsgeschichtlich unhaltbar, wenn z.B. Fleischer [vgl. 1990/162, 169] materielle Realisationen als Zivilisation beschreibt, die die bedeutungsfreie Vorstufe zur zeichenvermittelten Kultur bilden soll. Um Bilder als Kultur zu verstehen, sind die materiellen Beschaffenheiten unentbehrlich, weil sie kulturalisierte Medien sind. Trotzdem möchte ich für den bildbezogenen Kulturbegriff weniger das Kommunikationsmaterial selbst, als seine syntaktischen Formen und semantischen Objektbezüge betrachten. Die Interpretanten, die interpretierte Bedeutung der Kultur, schlage ich der Gesellschaft und Pragmatik zu, wie noch zu erläutern ist. Kulturgemäß trägt zwar das materielle Medium eine signifizierende Botschaft [s.S. 234f.], dennoch sind es eher die Zeichenformen, die dem Medium gegeben werden, die sich in einer Bildkultur wesentlich langfristiger halten als Bedeutungen, und die Kultur generell als zweite Natur des Menschen identifizierbar machen. Denn Formen von materiellen Gegenständen (z.B. von Bildgegenständen, Vasen, Stühlen, Burgen) und Zeichen laufen in einer Praktik zusammen: sie sind das Thema, das (gr.-lat.) "Aufgestellte", was eine Kultur hervorbringt. Mit Kultur sollen deshalb die thematisierten, die aufgestellten Formen und Objektbezüge (kulturelle Einheiten) gemeint sein, die syntaktischen und semantischen Maßgaben folgen.

Dieser zeichenakzentuierte Kulturbegriff, wie ihn Habermas vergleichbar verwendet, ist für visuelle Kommunikation vorteilhaft. Denn eine Bildkultur hat in jedem Fall einen ikonischen "... Wissensvorrat, aus dem sich die Kommunikationsteilnehmer, indem sie sich über etwas in einer Welt verständigen, mit Interpretationen [besser Thematisierungen] versorgen" [Habermas 1988b/209]. Für den bildbezogenen Kulturbegriff ist es daher geeigneter, weniger die materiellen Bedingungen von Bildgegenständen, sondern mehr die darstellenden Zeichenformen zu betrachten. Ausschließlich letztere zeigen optische und begriffliche Thematisierungen von etwas anderem. Im weiteren ist für Bilder zu beachten, daß hauptsächlich deren syntaktische Darstellungscodes und weniger deren ikonische Objektbezüge die Stabilität erbringen, die die kulturelle Struktur sichert und damit die "fundamentale Aufgabe der Kultur" [Berger 1988/6] übernimmt. Wie Berger [vgl. 1988/7] betont, wird Kultur ständig reproduziert, und kann sich darum dem Wechselspiel von Stabilität und Instabilität nicht entziehen. Auch Bilder unterliegen dem Wandel ihrer Kultur. Unter Kultur verstehe ich somit in bezug auf Bilder eine temporäre Stabilität, die einen signifizierenden Stil von kulturellen Legizeichen und ikonischen Objektbezügen aufweist, einen stabilisierten, ikonischen Signifikationscode also. Diese Einfassung bietet sich an, weil Bilder in ihren ikonischen Objektbezügen keiner eindeutigen Konvention und Tradition nachkommen, obgleich kulturelle Zeichenformen nicht ohne mehr oder weniger konventionell interpretierte Objektbezüge im sozialen Zusammenhang überdauern [s.S. 152]. Ich werde das bisher Beschriebene gleich näher begründen, um aufzuzeigen, wo Traditionen in der kulturellen Form ikonischen Wissens aufzufinden sind und wo nicht. Zuvor ist noch die Frage offen: Warum kann eine Kultur von Bildern nicht geradlinig wie die Sprache als ein "Bau von Symbolen" [Berger 1988/7] oder als symbolische "Sedimentierung typischer Erfahrungsschemata" [Schütz u. Luckmann 1979/283] benannt werden?

Die Frage, warum das Wissen in Bildern nicht ausschließlich symbolischen Charakter aufweist, beantwortet sich aufgrund des definierten ikonischen Wissens beinahe von allein. Freilich werden Lebenswelt- und Systemtheoretiker mit Recht einwenden wollen, daß sich der Begriff des Symbols in den entsprechenden Theorien höchstens partiell mit dem des Zeichens überlappt. So hat Luhmann [vgl. 1992/189ff.] neben vielen anderen herausgearbeitet, warum der Begriff des Symbols (gr. "symbállein": zusammenfügen, zusammenlegen) ein Zeichen einer mythischen Paradoxie ist. Dieser Widersinn kommt auf, wenn symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien Unterscheidungen zwischen Kommunikation und Nicht-Kommunikation oder zwischen Zeichen und gegenständlicher Umwelt treffen, diese Unterscheidungen dann aber als solche symbolische Einheiten zusammenhalten, die wiederum das Ganze der "mythologisierten" Wirklichkeit aufzudecken meinen. Im Symbolischen meint man somit, die Zeichen würden sich in ihrer Referenz wieder mit der gemeinten Umwelt und Wirklichkeit zusammenfügen, obwohl Zeichen ihren Sinn prinzipiell in ihren eigenen Sinnkonstitutionen finden, die die Unterscheidungen zwischen Zeichen und Nicht-Zeichen verhüllen. Kurz, das Zeichen soll im Symbolischen paradoxerweise dasjenige aufdecken, was es in seinem zeichenhaften Charakter verdecken muß, damit es sich von dem aufzudeckenden Gegenstand, dem Unterschiedenen, als ein erkennbares Zeichen unterscheidet. Für Bilder gesagt: auch bei der visuellen Kommunikation müssen wir schon wissen oder zumindest bemerken, wie das Symbolische eine doppelte Ordnung von Unterscheidungen mitteilt. Denn im Symbolischen der visuellen Kommunikation ist die Paradoxie ihrer durchsichtigen Undurchsichtigkeit [s.S. 170] auf alle Teilnehmer abgestimmt, wodurch sie solche optisch wahrnehmbaren Zeichen von kulturellen Einheiten mitteilen kann, die den Betrachtern - geradewegs so wie im Kult - eine Welterfahrung mythologisierter Wirklichkeit ermöglichen sollen. Diese Paradoxie verschleiern Bilder beispielsweise in der symbolischen Zentralperspektive, da deren Tradition Individuen daran gewöhnt, den vom Bild verdeckten Gegenstand in perspektivischer Durchsicht scheinbar direkt wahrzunehmen.

Das Allgemeine des Symbols, ich möchte es symbolischen Charakter nennen, findet sich demnach dort, wo es zwar eine Sichtbarkeit repräsentiert, diese Sichtbarkeit aber keine Sicht auf eine tatsächlich anwesende Umwelt ist. Denn im Objektbezug deutet das Bildzeichen auf etwas momentan Unsichtbares und Abwesendes. Der ikonische Objektbezug repräsentiert eine Sichtbarkeit, die erst innerhalb einer legitimierten Repräsentationscodierung erkennbar (einsehbar, verstehbar) wird und sich so selbst genügt, da sie selten den Beweis antreten muß, daß der Gegenstand wirklich optisch so wirkt, wie er auf der bildlichen Durchsicht vorhanden scheint. Diesem symbolischen Charakter fließt etwas von glaubwürdig scheinenden Göttermythologien zu, die die Sichtbarkeit des Ikons mit der Sichtbarkeit seines referierten Gegenstandes zusammengefügt meinen. Oder in weniger pathetischer Erläuterung gesagt: jedes Bild und jedes Zeichen erlangt den symbolischen Charakter, indem es innerhalb seiner kommunikativen Reglementierung etwas darstellt oder veranschaulicht, was irgendeiner vorgestellten Wirklichkeit entsprechen könnte, und was zumindest manchmal unserer Wirklichkeitserfahrung im Index nahe kommt.

Unsicher wird das »symbolisch generalisierte Wissens«, wie es insbesondere Luhmann als Paradoxie definiert, in der Frage nach dem Individuum, welches in seiner Zweitheit bildliche Gegenstände und nicht etwa Symbole visuell wahrnimmt. Das, was ein Symbol symbolisch bezeichnet, kann absolut niemand mit den Augen allein sehen, es bedarf des Denkvermögens (der Drittheit). Demgegenüber hat sich für die Wahrnehmung von Bildern herausgestellt [s.S. 98], daß das Individuum zwar visuell kommunikative Sozialisationsinstanzen akkommodiert, was aber nicht meint, Bilder und vorwiegend künstlerische Bilder wären so stark eingeengt, daß für ihren Sinn "... nur die Entscheidungsfreiheiten bestehen, die gesellschaftlich verständlich gemacht werden können" [Luhmann 1992/15]. Bilder kommunizieren zwar etwas über Objekte, aber was sie über diese mitteilen, folgt im Falle von rhematisch ikonischen Sinzeichen nicht zwingender Interpersonalität. Insbesondere die Impressionsfülle der ästhetischen Erfahrungen, die Bilder erlauben, kann gegen symbolische Mystifikationen opponieren, ohne daß sich das Individuum hinter binären Bezeichnungsrastern zu verbarrikadieren hat. Gut, Luhmann würde behaupten wollen, das wäre keine Kommunikation, weil das "»Charakteristische« ["Typische"] des Kunstwerkes ... nicht in der sinnlichen Erfahrung gegeben sein kann ..." [Luhmann 1995/332] und Kommunikation von Wahrnehmung abstrahiert. Doch genau in diesem Diktum kommt die Widersprüchlichkeit der visuellen Kommunikation auf. Diese teilt im vertraut ikonischen Signifikationscode etwas über Ähnlichkeiten mit, ohne daß der Bildbetrachter die inhaltlichen Objektbezüge als kommunikative Nachricht verstehen und innerhalb von gegensätzlichen Werten des Kunstsystems, wie etwa schön/häßlich, beurteilen muß. "... So wenig, wie der Künstler seinen Werken die Mitteilung mitgibt, sie seien »schön«" [Luhmann 1992/190], genauso wenig gibt der Künstler sich selbst verstehend mit auf den Weg, wie die Bildwerke überhaupt zu verstehen sind. Letzteres hat Luhmann vernachlässigt. Denn die offene Frage bleibt, wie und was der Bildbetrachter in seiner nicht beobachtbaren Subjektivität (erster Ordnung) beobachtet hat, obwohl etwas vorkommunikativ kommuniziert wurde.

Der ansonsten so kommunikationsförderliche Typ, der in binären Codierungen operiert, integriert die visuelle Kommunikation nicht. Denn einerseits sind ikonische Bilder nicht "... mit gegensätzlichen Werten unter Ausschluß von dritten ..." [Luhmann 1992/191] ausgestattet, da sie im rhematisch interpretierten Ikon das Dritte eher ein- als ausschließen, und andererseits erschöpfen sich Bilder nicht in symbolischen Generalisierungen, weil wesentliche Komponenten subjektiv wahrgenommen, vorkommunikativ in Anspruch genommen und kennengelernt werden. Die von Luhmann eingeführten binären Codierungen von wahr/unwahr und schön/häßlich, wie sie in symbolisch generalisierten Kommunikationssystemen anzutreffen sind, gehen in weiten Teilen am Phänomen der visuellen Kommunikation vorbei [s.S. 46]. Denn die benannte symbolische Paradoxie, welche in der durchsichtigen Undurchsichtigkeit auftrat, hat sich aus visueller Kommunikation zumindest entfernt, wenn sie dort überhaupt jemals konzentriert vorhanden war, da bildliche Darstellungen vermutlich schon immer von den den Dingen ähnlichen Eigenschaften gelebt haben. Luhmann selbst bestätigt, daß ein Code allein für Kommunikation [Drittheit] und keinesfalls für Weltsachverhalte [Zweitheit] binarisierbar ist, "... denn es gibt keine negativen Welttatsachen ..." [Luhmann 1992/213, vgl. 1990a/11]. Und genau diese de-arbitrarisierende Wirkung positiver Tatsachen erfüllen Bilder, indem sie mittels vertraut gewordenen Darstellungscodierungen scheinbare Gegenstände ohne Bezeichnung (96) und ohne symbolische Paradoxien stets positiv präsent existieren lassen. Bilder machen nicht nur die Unsichtbarkeit einer abwesenden Welt sichtbar, sie sind auch selbst als Anwesenheit sichtbar. Die wahrgenommenen Form/Grundbeziehungen von Gegenständen, die selbst nichts bezeichnen, lassen sich nicht in symbolischen Paradoxien gleichwertig bezeichnen oder kommunizieren. Aufgrund dessen, daß sich ikonische Generalisierungen erstens in ihren ästhetischen Erfahrbarkeiten symbolischen Binarismen verweigern, und sie sich zweitens in ihren Ähnlichkeitsbehauptungen (scheinbaren Analogien) jeder objektivierbaren Aussagenlogik entziehen, können die vielschichtigen und ungeneralisierbaren Perspektiven ("Durchsichten"), die ikonische Darstellungen ermöglichen, nicht als symbolisch bezeichnet werden. Die visuelle Kommunikationscodierung kann nur in der einzigen theoretischen Thematik der Paradoxie als symbolisch beschrieben werden, praktisch erfüllt sich ihr Sinn aber darin, daß sie symbolische Sinnkonstitutionen in der Wahrnehmungserfahrung unterschreitet. Deshalb gleicht sie nicht dem erwähnten "Bau von Symbolen" [Berger 1988/7; s.S. 204], sondern legt jedesmal den ersten mimetischen und ikonischen Stein für diesen Bau des symbolischen Wissens.

Jener jeweils erste ikonische Stein teilt Wissen kommunikativ mit, auch dann, wenn dieses in der semantischen Gliederung keiner Typik entspricht, die Schütz u. Luckmann [vgl. 1979/283] in der verbalen Sprache vermuten. Bilder sind im Ikon mit Freiheitsgraden ausgestattet, die lediglich der Möglichkeit nach einer Typisierung und Generalisierung folgen. Das heißt, in der ikonischen Identitätsbehauptung von etwas anderem zeigen Bilder (z.B. private Fotografien) subjektive Blickwinkel, die in keiner Weise generalisierbare Relevanzkriterien beanspruchen können oder für eine Gesellschaft typisch wären. Beispielsweise läßt sich keine überindividuelle Regel angeben, ob die Mona Lisa gelblicher oder mehr von links, rechts, oben oder unten hätte dargestellt werden sollen, um die Ähnlichkeit, Wahrheit und Schönheit zu steigern; oder man hat etwas in Bildern gesehen, ohne einen Begriff zu haben, was es war, das man gesehen hat. Die einzige typisierende Regel, die im ikonischen Wissen vorkommt und es zu einem solchen emporhebt, begründet sich im kulturellen Darstellungscode von Wissensformen, denen ich jetzt nachgehen möchte.
Um das tradierte Wissen einer Kultur aufzuspüren, wäre es für Bilder unzureichend, eine oft linguistisch beeinflußte Begrifflichkeit zu übernehmen, die z.B. bei Posner [vgl. 1991/37] alle Zeichenbezüge als Code, Text oder System einstuft. Bilder verlangen nach feinsinnigeren Unterscheidungen. Von allgemein kulturellem Wissen, wie auch ikonischem Wissen ausgegangen, benötigt dessen Mitteilung zwei Voraussetzungen: Wissen bedarf eines Mediums, welches die Vermittelbarkeit zu einem anderen Individuen zuläßt, und es muß in Zeichen codiert sein, die ihre kommunikative Funktion so indizieren, daß zumindest ein anfänglicher Interpretationsrahmen vorgegeben ist. Fehlen diese beiden Prämissen, bleibt jede Wissensmöglichkeit außerhalb des kulturellen Weltbildes.

Bilder erfüllen die beiden Bedingungen, indem ihnen per Darstellungsweise oder Stil die kulturelle Form "Wissen" mitgeben wird. Selbst neolithische Höhlenmalereien, die in der Formgebung für uns keinem eindeutigen Stil folgen, also Sinzeichen zeigen, indizieren selbst heutzutage noch ein ikonisches Wissen, welches Ähnlichkeiten partiell wiedererkennbar kommuniziert [hierzu Elliott 1979/612]. Verständlicher geben sich Formen des ikonischen Wissens, wenn ihre Zeichensyntaktik demonstrativen Darstellungscodierungen folgt und nicht mit extrem unzugänglichen Codierungen ohne Begrenzung der Fläche und mit natürlichen Einsprengseln, wie etwa Felsrissen, Wasserflecken, Ruß und Gesteinsschimmer ausgestattet ist. Als demonstrative Darstellungsformen von Wissen fungieren in den meisten Fällen Legizeichen. Sie zeigen unmißverständlich mittels Stiltraditionen ihre Funktion an, d.h., sie demonstrieren aufgrund prästabilisierter Zugehörigkeitsverhältnisse, daß sich jetzt auf eine visuell kommunikative Ähnlichkeit bezogen werden soll [s.S. 9 (Zeichen der Funktion)]. Solche demonstrativen Darstellungsformen, die einen visuell kommunikativen Appell ausüben, sind in ihren unwahrscheinlichen Merkmalen oft von kulturellen Bildstilen geprägt, wie etwa quadratische oder runde Flächenbegrenzungen, zusammenhängende Farbflächen, spezifische Figur/Grundbeziehungen, charakteristische Oberflächenbearbeitungen, syntaktische Formationsregeln, Raumcodierungen und kulturspezifische "Durchsichten" (Perspektiven). Als kulturelle Darstellungs- oder Bildstile können deshalb solche bezeichnet werden, die unabhängig von persönlichen Eigenheiten in einer Kultur als ein allgemeiner Typus oder als Legizeichen existieren. Je souveräner Bildstile nämlich ihren demonstrativen Appell (Index) ausüben, desto unabhängiger teilen sie von zeichenwirksamen Umgebungsräumen (Kontexten, gesellschaftlichen Institutionen, Museen) und von persönlichen Einführungen des Bildners die ikonische Botschaft mit. Mit anderen Worten, die kulturelle Form "Wissen" erreicht wesentlich mehr Interpreten, wenn sie innerhalb kultureller Formkonventionen bleibt, die gesellschaftlich institutionalisierte Bildlichkeit indizieren. Demnach garantieren verallgemeinerte Stile die Anbindung an ikonische Wissenstraditionen und Kommunikationspartner.

Wer die Frage stellt, "was ist ein Bild?" [Polanyi 1994/148], der hat anfangs nach Erkennungsmerkmalen zu suchen, »wie« ein Bild sich im kulturellen Stil regelhaft exemplifiziert. »Was« für ihn ein Bild sein kann, die Frage nach der Identität eines solchen, beantwortet sich mit seiner jeweiligen Pragmatik, die er dem »Wie« der Kultur gegenüber als Bedeutung aktualisiert. Ohne das »Wie« ist das »Was« außerhalb jeglichen Wissens. Allein legizeichenhafte Formationsregeln, die über wiedererkennbare interpersonale Merkmale verfügen, stellen für Bilder die Grundlage bereit, »wie« sie sich als spezifisch tradierte Bildkultur unabhängig von Objektbezügen identifizieren lassen.

Der Komplex von Kulturtraditionen und von einer Stilepochen-Kunstgeschichte stößt auf Probleme, wo eine Vielzahl von Einzelphänomenen unter Generalisierungen subsumiert werden, die schon vom Terminus her keine Nachsicht bezüglich Singulärem bieten. Gegenüber der Einzigartigkeit eines künstlerischen Bildes ist sicherlich der Blick verblendet, der vom Stilepochen-Einheitsdenken geleitet wird. Aber trotzdem fällt die Meinung schwer, daß in Epochen mit Stilpluralismus tatsächlich Kulturpluralismus vorhanden wäre. In seiner Absolutheit hätte dies einen Gesellschaftspluralismus zur Folge, der über Teilsystembildungen hinausgehen würde und Kommunikation zumindest drastisch hemmen würde. Um von irgend etwas zu sprechen und sich an irgend etwas zu orientieren, wird jeder Beobachter irgendeiner Kultur Differenzierungen vornehmen, die sich kaum "von der einengenden Stilepochen-Einheit freimachen" können, wie Schmoll [vgl. 1977/11] verlangt. Ohne fürwahr klare Grenzen aufzufinden, läßt sich mit Gombrich [vgl. 1982] annehmen, daß beispielsweise das klassische Ideal von Formsymmetrien zu kulturellen Ausschlußprinzipien geführt hat, die in Polarität zu Kategorien des Nicht-Klassischen gesetzt wurden. Solche kulturellen Klassifikationen dürfen sicherlich nicht an "unabhängigen Kriterien der Form" [Gombrich 1982/175] gemessen werden, die sich von sozialen und praktischen Zwecken vollständig ausnehmen. Es sind vielmehr Unterscheidungen gefordert, die zwischen der Geste eines individuellen Stils (der sogenannten individuellen Handschrift) im Sinzeichen und der Geste eines kulturellen Stils im Legizeichen differenzieren; denn erstere, singuläre Segmentierung kommt selten ganz ohne zweitere, verallgemeinerte aus. Zweifellos zeigen Malereien und Fotografien im Sinzeichen eine persönliche Note, die, wenn sie sich hervorhebt, auch spezifischen Individuen, Schulen oder Meisterateliers einer kulturellen Epoche und sozialen Problemlage zugeschrieben werden kann. Kurz: der kulturelle Stil verrät des Bildners Herkunft und Epoche, wohingegen der individuelle Stil seinem zeit- und problembezogenen Orientierungsprinzip nachkommt, welches sich bei entsprechendem Durchhaltevermögen zur Vorbildlichkeit, zur zukunftsweisenden Geltung in der Kultur aufschwingt.

Der kulturelle Stil deutet demnach auf verwurzelte oder epochale Verallgemeinerungstendenzen, in deren sozialem Aktivierung individuelle Problemlagen auf sicherem Wege zur kommunikativen Ausformung gelangen. Eine Gesellschaft indessen, die ihre Kulturformen und damit die visuell kommunikative Fundamentbildung konstant verwirft, stimmt sich auf individualisierten Formenverschleiß ein [hierzu Luhmann 1980/45]. Moderne Kunstinstitutionen führen dies vor, sooft sie das Neue augenblicklich als Vision des Gestrigen verabschieden und sogleich in Gedächtnisfeiern museal tradieren. Das Neue in der Kunst postieren sie damit dem Künstler im überzogenen Sinne als Antipode und dem Verehrer als unnachahmliche, da bahn-ab-brechende Heldentat.

Funktional argumentiert, integriert der kulturelle Stil den Bildner in soziokulturelle Kontexte, die seiner individuellen Expression eine visuell kommunikative Deprivation ersparen. Demnach enthebt ihn der kulturelle Stil von "absoluter Selbstverantwortlichkeit", aber auch von angestrebter "Einzigartigkeitsbedeutung" [Simmel 1990/296; vgl. 1993/90]. Von dieser Position aus sieht Luhmann recht deutlich, daß das künstlerische Originalitätspostulat der westlichen Moderne ein "Leiden an der eigenen Überempfindlichkeit" [Luhmann 1986b/635] einschließt. Verliert sich nämlich der künstlerische Bildner in individuellen Sensibilitäten, die er vollständig autonom gegenüber dem kulturell etablierten Darstellungscode exponiert, so verwirkt er neben dem stabilisierenden Traditionsrahmen ebenfalls den Anspruch auf ikonisches Wissen. Er gelangt somit in die kunstinterne Originalitätsaporie, die das empfindlich Avantgardistische zugleich mit dem Unempfindlichen des kulturell Tradierten versöhnt sehen möchte. Leistet das Bild die soziale Anbindung nicht eigenständig, so obliegt es dem Künstler bzw. Kunsttheoretiker, entweder zu sprechen oder zu warten. Eine in allen Darstellungskennzeichen wahrhaftig autonome Malerei, wie z.B. bei überempfindlichen Genies und "Wahnsinnigen", wäre demnach für Kulturmitglieder vorerst unbegreiflich. Diese Malerei würde als eine Parataxie auffallen, die für die anderen nur das Verlassen der kulturellen Perspektiven dokumentiert. Denn ikonisches Wissen basiert in zahlreichen Formen auf kulturell tradierten Segmentierungen, die einen kulturellen Darstellungscode optischer Interpretationen bilden, den sich Bildner zunutze machen. Die Unterscheidung zwischen individuellem und kulturellem Darstellungsstil oder -code löst sich an dieser Stelle dahingehend auf, daß Bildner die Allgemeingültigkeit eines kulturellen Darstellungsstils (Legizeichen) teilweise nutzen, um ihre individuelle Expression (Sinzeichen) derart auszudrücken, daß sie als demonstrative Mitteilung potentiell verstehbar bzw. ikonisch erkennbar ist [hierzu Muller 1979/146]. Um nämlich ein relativ rasches Verstehen zu erwirken, ist es für den Mitteilenden vorteilhaft, wenn er seine optischen Nachrichten in Basisprinzipien nach kulturell etablierten Darstellungscodes arrangiert. Insofern bezieht nahezu jedes Individuum eine kulturell tradierte Darstellungslösung in seine Formulierung mit ein. Die individuellen Wissensdarstellungen generieren sich somit aus interpersonalen Modellvorgaben und bereichern diese.

Als Kultur oder Subkultur behauptet sich ikonisches Wissen grundsätzlich im kulturellen Darstellungsstil. Die sich daraus ergebenden ikonischen Objektbezüge oder Ähnlichkeiten, die subjektiven Präferenzen folgen, gehorchen selten Konventionen und werden deshalb nur vereinzelt (z.B. als Fälschungen, Kopien) in der folgenden Generation homöomorph reproduziert. Aus diesem Grund trifft die Meinung von Eco [vgl. 1991/272], Sauerbier [vgl. 1985/34ff.], Bentele [vgl. 1984/250ff.] und Hoffmann [1982/214ff.] nicht zu, daß der ikonische Signifikationscode über einen vorher kulturalisierten und konventionalisierten Inhalt verfügt. Der kulturalisierte Darstellungsstil kann sich auf alle ihm möglichen Inhalte und Sujets subjektiv willkürlich und auch unwillkürlich (z.b. bei Überwachungskameras) beziehen [s.S. 152]. Konträr zum Darstellungscode, den Massen konventionell verwenden, befreit sich der ikonische Objektbezug aus gesellschaftlichen Kontrollinstanzen und prädestinierten Übereinkünften. Inzwischen geben die von Massen verwendeten Medien, wie etwa Fotografie, Video oder Fernsehen, das ihnen innewohnende Potential ohne weiteres preis. Sie treiben trotz massenhafter Verwendung mancher kultureller Stile (Perspektiven) die Entmassung im Ikon voran, wie man bei Amateurbildnern erkennen kann, die im Ikon keiner kulturellen Tradition nachkommen.

Kulturgemäß richten sich ikonische Objektbezüge im inhaltlichen Motiv nach weiteren Parametern aus. Nicht alles, was gesehen wird, wird auch bebildert. Solche inhaltlichen Objektbezüge unterliegen kaum ikonischen, sondern symbolischen Traditionen. Diese sind z.B. aufzufinden, wenn christliche Bilder eine Frau (Maria) mit Kind zeigen, oder hinduistische Bilder einen Mann mit Elefantenkopf (Ganesh) vergegenwärtigen. Zu dem Interesse, warum sich die Frau und der elefantenköpfige Mann in den jeweiligen Kulturen einer ausgeprägten Beliebtheit erfreuen, erhält ein Interpret erst Zugang, wenn er sich innerhalb symbolischer Kontexte über den verallgemeinerten Wissensvorrat der jeweiligen Kultur verständigt. Er muß den Interpretationsrahmen dieser "ideelle[n] Kunst ..., die gedanklich Mitgebrachtes voraussetzt ..." [Gehlen 1986/23] wissen. Zu solchen symbolischen Kontexten gehört außerdem verbal vermitteltes Wissen, welches sich auf subkulturelle Motive bezieht, wie etwa Bilder von bestimmten Politikern, Popstars, mythischen Gestalten und sonstigen symbolisch verstandenen Identitäten. Symbole sind in verbalen Interpretationen oder in einzunehmenden Haltungen im Vergleich zu Ikons klarer auf Vorschriften, Traditionen und Konventionen abgestimmt, damit sich ihre alteingeführte Arbitrarität (Beliebigkeit) der Bezeichnung nicht verliert. Aus ikonischer Anschaulichkeit wird nämlich nicht deutlich, warum man vor Maria die Hände faltet oder sich vor Ganesh die Stirn rot pudert, um auf diese Weise ein wenig Geborgenheit, Wunder oder Glück zu erbitten. Demnach kann erst das Symbol das einschließen, was Schütz [vgl. 1974/172] den "objektiven Sinn" nennt, und was ein Zeichen einer konventionellen Semantik (Bezeichnung) und erwartbaren Bedeutung verhältnismäßig einsinnig zuordnen läßt. Im ikonischen Objektbezug kommuniziert ein Marienbild zwar ebenfalls eine Einsinnigkeit, da nahezu jeder eine Frau sieht. Diese monosemantische Einsinnigkeit bezieht sich aber auf den gegenstandsähnlichen Charakter der Veranschaulichung (imitierte Gegenstandsbedeutung) und nicht auf interpretierende Verhaltensweisen des symbolischen Objektbezugs. Aufgrund der einsinnigen Vielsinnigkeit ikonischer Bilder existieren scheinbar gegensätzliche Tendenzen, die sich in zwei folgende Punkte auflösen:

1) Wenn ad hoc angegeben werden soll, worauf sich ein Zeichen bezieht, dann ist das Ikon wesentlich leichter interpretierbar als ein Symbol. Dies liegt unzweifelhaft daran, daß der ikonische Objektbezug (wenn man den konventionellen Darstellungscode (!) erkennen gelernt hat) nahezu keiner Übereinkunft unterliegt. Denn erst kulturelle Konventionen, die einen Objektbezug stark arbiträr, also willkürlich werden lassen, erfordern lange Lernphasen, wie die Bezeichnung der Zeichen zu interpretieren sind. Anders beschrieben, gerade weil ein Ikon keiner lernaufwendigen Konvention unterliegt, ist seine einsinnige (monosemantische) Bezeichnung schnell identifizierbar [s.S. 126]. Auf der anderen Seite tritt die Zeichenbedeutung der ikonischen Bezeichnung kommunikativ wesentlich vielsinniger auf, eben weil keine Konvention (Rhema) regelt, wie ein Ikon kraft weiterer Ideen (Interpretanten) verstanden werden soll.
Beispielsweise kann ein Tourist die ikonische Ganesh-Gott-Illustration als lustiges Elefantendickerchen ansehen, ohne auch nur irgendeine kulturelle Interpretationsvereinbarung, außer der optischen selbstverständlich, verstanden zu haben. Demnach hat der Tourist nicht die generalisierte Bezeichnung des Zeichens verstanden. Er kennt nicht den symbolischen Objektbezug des Zeichens, woraufhin er die kulturadäquate Bezeichnungsvereinbarung übergeht und sich irgendwelche subjektiven und vielsinnigen Symbolbezüge seiner Kultur zusammenreimt - er denkt vielleicht, Ganesh wäre ein Symbol für Karneval. Somit löst sich die einsinnige Vielsinnigkeit beim Ikon dahingehend auf, daß dieses optische Informationen zwar konventionslos von Objekten als eine Nachricht mitteilt, es also in seiner Bezeichnung meist über einsinniges Wissen benachrichtigt, gleichwohl der Interpretantenbezug sehr vielsinnige (konnotativ-offene) Bedeutungen und Symbolkreationen toleriert, da zahllose Gedanken bzw. mannigfaltige Reaktionen interpretativ möglich und situationsadäquat sein können.

Wer soeben Geschriebenes unzutreffend findet, sollte aufklären können, was das konventionell, also symbolisch Interpretierte von z.B. jeweils unikal bebilderten Feuerkatastrophen in ikonischer Fernsehillustration sein könnte. Diese Frage verdeutlicht schon, warum televisionäre Medien, wenn man der Ikonologie vertrauen kann, in wesentlich reduzierterer Machart bildliche Symbole mitteilen als religiöse oder kultische Malereien der Vergangenheit. Ich würde nicht dementieren wollen, daß Katastrophen, Mord und Totschlag in trivialen Bildmedien derzeitig Symbole für die enorme Angst in der Risikogesellschaft sind; was übrigens vom Motiv her - scheinbar dialektisch verdreht - religiösen und kultischen Symbolen vollends verwandt ist. Auch diese sollen die Angst vor den Naturgewalten symbolisch bändigen. Jedoch ist diese Interpretation des Symbolischen in modernen Medienformen auf einer konventionellen Ebene unauffindbar, vor allem dort, wo die optische Faszination am Katastrophalen lieber ikonisch/emotional als symbolisch/sprachorientiert interpretiert wird. Wer will, kann in alle Vorgänge und Formen ein angeblich apodiktisches Symbol hineinprojizieren. Konventionell wird es erst, wenn zumindest einige jener Projektion gleiche Bezeichnungsbezüge und Bedeutung zuschreiben, was sich viele, vor allem politische, religiöse und wissenschaftliche Verkünder von Symbolen erhoffen. Beispielsweise nutzt politische Herrschaft [s.S. 158] ein ikonisches Vermittlungsmedium, wenn sie ihre symbolische Anwesenheit visuell kommunikativ bekanntmachen möchte. Wie ikonische Bilder zu zerstörungswerten Machtsymbolen stilisiert wurden, verrät die von Warnke [vgl. 1988/65] beschriebene Geschichte des Münsterischen Bildsturms. Über solche symbolischen Machtinteressen ist die Gegenwart keinesfalls hinweg, denn in Kriegssituationen konzentrieren sich erste Aktionen oftmalig darauf, daß Fernsehsender, die massenwirksamer als moderne Kunst agieren, symbolträchtig besetzt werden. Gleichfalls decken diese Machtbestrebungen auf, warum moderne Künste, die ihre masseneffektiven Symbole verloren haben, im Unterschied zu televisionären Massenmedien eine einstweilige Freiheitserlaubnis von der Parteipolitik erhalten haben. Die Kunst ist frei, weil sie symbolisch nebensächlich ist.

2) Letzte Abschweifung verdeutlicht, warum bei konventionellen Symbolen sich anfänglich nicht alles Erdenkbare hineininterpretieren läßt. Denn für diese Objektbezüge zeigt sich eine kulturelle Übereinkunft verantwortlich. Solche Konventionen unterliegen längeren Lernphasen, in denen ein Kommunikationsteilnehmer dazu gezwungen wird, sich die kulturelle Willkürlichkeit und Arbitrarität von Symbolen so leistungsfähig anzueignen, daß er sie auf einem kommunikativen Niveau vereinbarungsgemäß verstehen und einsetzen kann. Beispielsweise weiß ein christlicher Betrachter eines Marienbildes, daß die veranschaulichte Frau die Maria, also die Mutter von Jesus symbolisiert. Deshalb sind Symbole in Kulturen auch wesentlich stabiler generalisiert als optische Ikons. Ihre symbolische Arbitrarität müssen sich Kommunikationsteilnehmer auf einem kommunikativen Niveau stabilisieren, weil man ihren Objektbezug nicht visuell sehen, sondern nur gedanklich evozieren kann. Symbole unterliegen in Bildern verallgemeinerten Konventionen darüber, was sie bezeichnen. Allerdings, das sei noch bemerkt, kann das politische, religiöse oder künstlerische Einzel-Symbol im Bild okkasionelle und konnotative Bedeutung bei diversen Begebenheiten erreichen. Aber dies wäre nur die rhematische Interpretationsmöglichkeit des Einzelsymbols, welches bedeutungsoffen ist.

Ohne mich in sprachanalytischen Untersuchungen verlieren zu wollen, gibt es für manche Symbole in Bildern eine Besonderheit, die in sprachlichen Symbolen nicht aufzufinden ist [vgl. Tugendhat 1976/380ff.]. Wenn man nicht weiß, was der Eigenname "Maria" symbolisiert, kann ein ikonisches Bild eine Anschauungshilfe für folgende Einzelaussage sein: "Dies ist eine Maria". Dieses Symbol »Maria« kann dem ikonischen Objekt »Maria« geradewegs zugeordnet werden, da in diesem Fall der nachgeahmte Gegenstand scheinbar direkt in jedem Augenblick gegenwärtig ist. Gewiß kann das Einzelsymbol »Maria« innerhalb von weiteren konnotativen Symbolverflechtungen interpretiert werden. Doch läßt ein bildliches Mariensymbol immer nur ein ikonisches Marienbildnis anwesend werden. Deshalb vergegenwärtigen Marienbilder unterschiedliche Sinnesdaten einer Maria, die ihre soziale Identität einem konventionell bestimmten Mariensymbol verdankt. Somit symbolisiert jedes Marienbild weitgehend die gleiche, konventionell bestimmte Maria, indessen jedes Ikon meist eine andere Ansicht, einen anderen Augenblick von Marien-Stadien zeigt und demgemäß für manchen auch individuelle Wunderheilkräfte zu haben scheint. Daher erzeugen ikonische Marien-Zeichen, die sich auf vergangene Sinnesdata eines Augenblicks zumindest rückbeziehen wollen, ein Sinnesdatum der Maria, die sie auch symbolisieren. Mit anderen Worten: manchmal, hauptsächlich bei religiösen und künstlerischen Bildern, erzeugt das ikonische Bild genau die Erfahrung, die es auch symbolisiert.
Zusammengefaßt kann für das bildliche Symbol gesagt werden, daß es seine Wissensform darüber erhält, wie der Objekt- und Interpretantenbezug des Zeichenmittels innerhalb der Kultur weitgehend konventionell interpretiert wird. Eine solche eingeführte Interpretation ist in dem Sinne konventionell, in dem die betreffenden Kulturmitglieder gängige Bedeutungen mit der stabilisierten, symbolischen Bezeichnung verbinden. Der Unterschied zwischen einem symbolischen und ikonischen Objektbezug ist also der, daß der erste »mit« und der zweite »ohne« kulturelle Konventionen interpretiert und dargestellt wird. Hiermit ist beantwortet, was Schütz u. Luckmann fragten: "Gilt der Satz von der Konvention für alle Arten von Zeichen, auch für nicht-sprachliche?" [Schütz u. Luckmann 1984/305]

Nachdem aufgezeigt wurde, warum der visuell erkennbare Objektbezug des Bildes keiner Konvention unterliegt, indessen der symbolische Objektbezug sehr widerstandsfähig konventionalisiert ist, bleibt die Frage, wie ikonisches Wissen von Bildern tradiert werden kann. Klar ist, wenn ikonische Objektbezüge ohne Konventionen kommuniziert werden, daß sie schwerlich tradierbar sein können, und überdies nicht jede kurzweilige Konvention tradiert wird. Wenn davon abgesehen wird, daß einzelne Bildexemplare über Jahrhunderte ihre überlieferte Relevanz behalten, sie also über lange Zeit die Kommunikationsteilnehmer mit ikonischen und symbolischen Bezeichnungen versorgen, bezieht sich obige Frage darauf, wie altes ikonisches Wissen zum Gewinn neuen Wissens genutzt werden kann. Unter Ausschluß, daß Bilder, sobald sie als individuelles Kulturexemplar eine götzenhafte Funktion übernehmen, langfristig tradiert werden, gibt es drei Gründe, warum historisch gewordene Bilder selten zeitgemäßes Wissen mitteilen:

1) Der erste besteht darin, daß das tradierte Motiv im Symbolischen des Bildes unzureichend anmutet, wenn sich die Realitätskonstruktion der Gesellschaft verändert. Beispielsweise wissen immer weniger Personen, was alles mit Marienbildern symbolisiert wird, weil unsere Gesellschaft den Wunderkräften kaum noch glaubt. Wie sich jedoch herausgestellt hatte, behalten Symbole eine langlebige Geltung im kulturellen Bezugsrahmen, solange das historische Interesse und das symbolvermittelte Weltbild verwandt bleiben.

2) Triftiger ist der zweite Grund, der das ikonische Wissen betrifft. Denn ikonische Objektbezüge, abgesehen von identischen Kopien, sind für die Überlieferung von einem Bild auf das andere absolut ungeeignet, da sie keine konventionelle Einigung über Ähnlichkeit einschließen. Und ohne verallgemeinerbare Übereinkunft verläßt jeder subjektiv ausgewählte Darstellungsstandpunkt die Tradition, um subjektiv gegenwartsnah sein zu können. Ikonische Bilder präsentieren jedesmal einen subjektiv ausgewählten Objektbezug, der, das muß sicherlich gesagt werden, sowohl von traditionell verbalen als auch von individuell motivierten Bedeutungen begleitet ist [s.S. 75]. Dies haben ohne Frage große Zeitungsredaktionen durchschaut. Sie benötigen trotz der legizeichenhaften Generalisierung von ikonischem Wissen reine Bildjournalisten oder besser Visualizer, die über ein "gutes Auge" für subjektiv allgemeine Botschaften der ikonischen Objektbezüge verfügen. So wurde beispielsweise die Choreographie eines symbolisch relevanten Händedrucks beim israelisch-palästinensischen Friedensabkommen derart angelegt, daß, nachdem das Fototeam seine tagelangen Vorbereitungen getroffen hatte, sich Arafat und Rabin vor den ausgebreiteten Armen Clintons nicht nur symbolisch, sondern außerdem subjektiv nachempfindbar und bildschön die Hände geben konnten. Solche Fotos nehmen - der Kunst verwandt [vgl. Boltanski 1991/70] - eine subjektiv allgemeine Beziehung zum Objekt auf, indem sie ein individuelles Problem auf kollektiver Verständigungsebene anbieten. Die kollektive Verständigungsebene erreichen Fotos, indem ihr Darstellungscode ebenso wie ihr indexikalischer Wirklichkeitsbezug eine konventionelle Interpersonalität genießt, die sich traditionell in der Kultur etablieren konnte. Gleichwohl muß der ikonische Ähnlichkeitsbezug, mittels dem sich ausschließlich Situatives über Raum/Zeitereignisse kommunikativ formieren läßt, eine ästhetische Sternschnuppe erzeugen, die in der Hoffnung auf allgemein Emotionalisierendes ihre ephemere und selten epochale Leuchtkraft (Bedeutung) erhält. Diese ephemere Bedeutung erhält ikonisches Wissen oft nur, wenn es aktuell erstellt wird, obwohl nach Rabins Ermordung sich das Foto für viele zum Symbol der Versöhnung und für manche zu einem des Verrats entwickeln könnte.

3) Warum Bilder selten zeitgemäßes Wissen mitteilen, und daß ist der dritte, mehrarmig ausufernde Grund, liegt daran, daß ein Bild den jeweiligen emotionsmotivierten Sinnkonsens neu aktualisieren muß. Dem ikonischen Bild obliegt es, eine Situation herbeizuführen, die tatsächlich eine bewußtwerdende Erfahrung erzeugt, also über Zweitheit eine schattenhaft bestätigbare Drittheit erreicht. Wenn nicht kontemplative Identitätsvergessenheit oder kultische Verehrung angestrebt wird, ist die Aktualisierung eines spontanen Gefühls von z.B. neuartiger Schönheit oder faszinierender Erfahrung für Bilder eine kommunikative Notwendigkeit. Denn vorrangig erweckt das Ungewohnte am Bild eine Schaulust, die, mit einer Aufmerksamkeit verbunden, außerdem eine kommunikative Zeichenbedeutung inszenieren kann. Auf die Aufmerksamkeit werde ich im nächsten Kapitel zu sprechen kommen. Relevant ist momentan, daß der ewig gleichbleibende ikonische Objektbezug, also die unverwandelte Ähnlichkeitsbekundung, unfähig ist, ein kommunikatives Interesse effektiv zu erwecken, weil eine Gesellschaft selten etwas kommuniziert, was sie genauso schon gesehen hat oder, wie Baxandall [vgl. 1987/64] schreibt, "schon besitzt". Demnach sind Bilder bei einer kommunikativen Mitteilungsneigung darauf angewiesen, "... ihre Kultur nicht direkt zum Ausdruck [zu bringen], sondern komplementär, weil sie durch Ergänzung am besten dazu dienen, öffentliche Bedürfnisse [nach einem emotionsmotivierten Sinnkonsens und visuellen Erlebnissen] zu erfüllen" [Baxandall 1987/64]. Mit solchen Zusätzen bereichert sich der kulturelle Wissenshorizont um optisch interpretierte Inhalte, die andersartige Gesichtskreise ergeben; es wird somit das ikonische »Was«, welches selten einer kulturellen Tradition folgt, subjektiv und spontan modernisiert.
Daß heutzutage dieser ikonisch-subjektiven Modernisierung fast nie eine symbolisch-verallgemeinerte folgt, wie es bei Religionen der Fall war, hat vermutlich folgenden Grund. Einerseits bleibt für die symbolische Besetzung der kurzlebigen Bilderentropie keine Zeit, und andererseits drängt die Medienindustrie mit sinnlich vor Augen geführten Realitätskonstruktionen auf keinen symbolischen Status, weil dieser anhand von Argumenten und Wahrheitskriterien angreifbar wäre. Die permanente Subjektivierung der Bildkommunikation reicht demnach an eine kommunikative Immunisierungsstrategie heran, da normalerweise kein Gegenbild und niemals ein wahreres Bild existiert. Die Medienindustrie, die sich auf unentwegter Suche nach dem zeitgemäßen Lebensgefühl befindet, immunisiert sich gegen plausible Argumente mit der Losung: In der Schönheit versumpft der Geist. In diesem Leitgedanken errichtet sie ein weltumspannendes Kommunikationsnetz, dessen mitgeteilten Kartographien die soziale Koordination der Nutzer zu dirigieren sucht, indem sich diese statt nach symbolischen Plausibilitätskriterien lieber nach emotionsmotivierten und ästhetischen Sinnkriterien orientieren sollen. Hierfür sind die mittels televisionärer Bilder hervorgerufenen Konsum- und Partnerwünsche nach neuerdings interkulturellen Schönheitskriterien lediglich die harmlosesten Beispiele, wenn entgegen aller symbolischen Realitätskonstruktionen auch Politiker aufgrund ihrer auf Jugendlichkeit getrimmten Gesichter gewählt werden. Pessimistisch gewendet gerät so die kritische Abklärung der Aufklärung in eine ästhetische Verklärung.

Von diesem kritischen Exkurs einmal abgesehen, würden die beiden letzten Punkte, die die Abhängigkeit des Ikons von subjektiven Präferenzen verdeutlichen, dagegen sprechen, daß die ikonische Form »Wissen« generell tradierbar sein könnte, wenn sich nicht der kulturelle Darstellungscode von Legizeichen auffinden ließe. Denn nur mit der im Legizeichen konventionalisierten Darstellungsregel, also dem regelhaften »Wie« der visuellen Kommunikation, überliefert sich ikonisches Wissen als die kulturelle Form »Wissen«. Ohne diese verallgemeinerten Normierungen, die dem kulturellen Kollektiv verständlich sind, wären ikonische Bilder nahezu außerstande, aus sich heraus non-verbal zu indizieren, »wie« sie optisch Ähnliches von etwas anderem zu wissen meinen. Unzweifelhaft folgen insbesondere künstlerische Gemälde der Moderne dem Verlangen nach Innovationen, indem sie die kulturelle Darstellungsform selbst modifizieren. Aber sogar diese innovativen Formen ikonischen Wissens besitzen z.B. die kulturell indizierende Typik des Quadratischen oder Ovalen, und wenn sie sie nicht besitzen, dann muß beispielsweise das von Beuys verwendete "Fett" - außerhalb des Kunstkontextes - per Sprache als Kunst behauptet werden. Deutlicher aufzuspüren sind kulturelle Darstellungsstile in der Perspektive, der Linienführung, der Flächenaufteilung und der Farbkomposition bzw. Farbsyntax (97). Und solche Darstellungscodes tradieren sich in einer Praktik/Technik, die neues ikonisches Wissen mittels altem verwirklichen läßt. Würde die Form »ikonisches Wissen« keiner Tradition folgen, wären Individuen bei jedem visuell kommunikativen Mitteilungsinteresse gezwungen, jede Bildeinteilung aufs neue zu erfinden. Das kommunikativ encodierte Bild reiht sich deshalb in eine tradierte Darstellungskette ein, damit sein ikonischer Darstellungssinn einen Sinn erhält.

Unwiederholt verwendete Formen stellen sich nicht als Kultur dar. Daher impliziert obige Formulierung der Darstellungsform "Wissen", daß zufällige Repräsentationen erst noch in die kulturell anerkannte Form "Wissen" aufgenommen werden müssen. Dies trifft selbstverständlich allein unter dem verdächtigen Vorbehalt zu, daß Kultur von regelhaft realisierten Zeichen geprägt ist. Verdächtig deshalb, weil ein solcher Kulturentwurf der Vermittlung von Können und beständig subjektverhafteter Körpererfahrungen wenig Raum und Anerkennung offen hält, ganz so wie es westliche Denkmodelle, die auf Kommunikationskultur ausgerichtet sind, auch gegenwärtig darlegen. Für Bilder jedenfalls fungiert das Können der Person als ein konstitutiver Faktor, der zwar gegenwärtig kontinuierlich reduzierter vom körperlichen Können abhängt, der aber aus Gründen der kommunikativen Performanz unverzichtbar ist. Vergleichbar dem sprachlich formuliertem Wissen benötigen visuelle Darstellungsstrukturen einen individuellen und privaten Kennenspool, der sich aus subjektverhafteter und manchmal vortheoretischer Erfahrung speist, und der überdies im Bild nie vollständig explizierbar ist - ein Impuls, warum Künstler vielfach unzufrieden mit ihrem Werk sind. Subjektive und zufällige Formgestaltungen sind für eigenwillige Darstellungen (z.B. Kunst, Kinderzeichnungen) zwar möglich und basal, demgegenüber findet aber dieser private Kennenspool lediglich partiell ein Forum, das jenen innovativen Konzeptualisierungen zumindest in mancher Hinsicht kommunikativ nachfühlen kann. Fallen erwartungssichernde Indizierungen mittels Kulturformen weitgehend weg, dann verharrt jede erfinderische Expression anfangs im kommunikativ anschlußlosen Ego oder Genie, um von dort aus mögliches Wissen aufzuspüren und visuell kommunikativ anzubieten.


----Fußnoten----


(96) Erst die repräsentierende Darstellungs-Form ("Figur") gehorcht einer Kommunikationscodierung, die eine kommunizierbare Differenz zur Umwelt bezeichnet [entgegen Luhmann 1986/147f., u. vgl. Luhmann 1990a/14].


(97) Thürlemann [vgl. 1990/71ff.] rekonstruierte am Beispiel eines Bildes von Dürer, daß Regeln der Farbdispositionen und abstrakten Farbordnungen konventionell sein können und dem historischen Wandel unterliegen.




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