b) Bedeutung der Bildkultur für Sozialintegration Inhaltsverzeichnis   Anfang
 
Die funktionale Adressierung von Kommunikation in Systemen sagt wenig darüber aus, welche verständigungsorientierte Wirkung anwesender Bildinformation zukommt. Funktionale Vermittlungsmechanismen beziehen sich ausschließlich auf Systemintegration. Um aber zu klären, wie Bilder auf Betrachter wirken, muß deren pragmatische Bedeutungsinterpretation berücksichtigt werden. Denn das individuelle Bewußtsein hat einen Einfluß auf Kommunikation, da es für diese verantwortlich gemacht werden kann und insbesondere beim System »Fernsehen« nicht nur in Funktionserfüllung aufgeht. Zwar kaschiert das Fernsehen den im System handelnden Kameramann so einwandfrei, daß dessen kommunikative Handlung zur systemischen Bildumwelt degeneriert, trotzdem werden in dieser vorkommunikativen Anwesenheit die Schauspieler als die eigentlich kommunikativ Handelnden verstanden [s.S. 65, 250]. Darum wird den Abgebildeten das Kommunikative am (Fernseh-)Bild im weitaus größeren Umfang zugerechnet als dem sozialen System »Fernsehen«, in welchem sie zur ikonischen Darstellung kommen. Durch diese weitgehende Ausblendung des Systems suggeriert das Fernsehen soziale Interaktion, die Begegnungen zwischen kopräsenten Individuen mimt. Daher wird man die Erfolgsgeschichte vom System "Fernsehen" weniger deshalb weiterschreiben, weil dessen Bilder weiterhin ein breites Publikum ansprechen, sondern eher deshalb, weil sich Individuen infolge seiner gemimten Kopräsenz interaktiv privatisieren, wie z.B. im Austausch von vertraulichen Porträts im Internet.

Mit Kopräsenz ist exakt die Bedingung angesprochen, die genannte Soziologen [Giddens, Arbeitsgruppe Bielef., Habermas, Luhmann; s.S. 334] als Konstituens für Sozialintegration formulieren. Unter Sozialintegration verstehen sie die soziale Interaktion, die sowohl die Begegnung zwischen kopräsenten Individuen einschließt als auch mitberücksichtigt, daß die Handelnden beachten, was andere Individuen von ihrem Handeln halten würden. Innerhalb der Sozialintegration orientieren Individuen ihre Handlungsvollzüge nicht oder zumindest weniger an funktionalen Systemen, sondern an Erwartungserwartungen, für die spezifische Interaktionspartnern verantwortlich gemacht werden. "Erwartungsmuster bleiben [hier] an persönliche Bekanntschaften gebunden ..." [Luhmann 1987/576]. In solcher Sozialintegration erwartet der Akteur von seinen Interaktionspartnern, daß diese seinen Äußerungen und Gesten ungefähr den gleichen Sinn der Form sowie verwandte Bedeutungen und Wirkungen zuschreiben wie er selbst. Er orientiert also seine Erwartungserwartung an seinem Gegenüber und nicht an einem erfolgreichen System, von dem er annimmt, daß es für sein Gegenüber schon irgendwie als Kommunikation funktional sein wird [vgl. Arbeitsgruppe Bielef. 1976/64].
Zieht man beispielsweise Videokonferenzen heran, ist deutlich zu erkennen, wie Bilder innerhalb der Sozialintegration verstanden werden. Sie vermitteln nämlich soziale Interaktion, die die gemeinsame Anwesenheit von ikonisch bekannten Akteuren derart mimt, daß deren Reziprozität als Nahsynchronisation verläuft. Das System »Fernsehen«, welches Raum-Zeit-Spannen überbrückt, tritt dabei nahezu vollständig zurück. Sein Illusionskontext errichtet anwesende Bildumwelten, in denen Akteure sich verständigen, als ob sie in soziale Interaktionskontexte einer Nahorientierung integriert wären. Sie beziehen sich in ikonischen Interaktionszusammenhängen sinnhaft aufeinander und deutlich geringer sinnhaft auf das funktionale System »Fernsehen«. Die Sozialbeziehung, die mittels Bildern suggeriert wird, wirkt deshalb umso stärker als interaktive Handlungskoordinierung, je weniger sie als funktionale Technizität im System relevant und zurechenbar scheint. Zumindest im System »Fernsehen« kollektivieren Bilder daher einen Eindruck von personalisierender und gegenständlicher Anwesenheit. Infolge dieses Eindrucks bilden sie eine Nahtstelle, die Interaktionskontexte mit gesellschaftlichen Funktionssystemen verknüpft. Bilder brechen nämlich genau dort in Funktionssysteme ein, wo ihre ikonische Anwesenheit "... ein hohes Maß an okkasioneller, gesellschaftlich funktionsloser, »alltäglicher«, aber sinnhaft nicht eindeutig lokalisierbarer Aktivität" [Luhmann 1987/578] vermittelt, die sich gemäß Luhmann angeblich nicht mehr an Funktionssysteme einer Hochsemantik, wie Wissenschaft, Politik, Intimität, Kunst usw. anschließen läßt. Für solche Funktionssysteme fangen Bilder die Ähnlichkeit [s.S. 195] ein, die vormals in individuellen Interaktionen und gegenständlichen Erfahrungen vor Ort eingeholt werden mußte. Beispielsweise ist es eine sicherlich nicht eindeutig lokalisierbare Aktivität, wenn sich Bundeskanzler Kohl ohne Brille auf Wahlkampfplakaten zeigt, um sein politisches Ansehen merklich zu verjüngen. Unrichtig wäre jedoch die Meinung, solche Persönlichkeitsattribute wären ohne Relevanz für das deindividualisierende System der Politik, weil Persönlichkeiten neben parteigebundenen auch individuelle Entscheidungen erwarten lassen.
Es ist zweifelsohne problematisch, die monologisierende Interaktion, die das System »Fernsehen« suggeriert, als vollständige Sozialintegration aufzufassen. Dies ist jedoch nicht angestrebt. Vielmehr möchte ich aufzeigen, warum Bilder, während sie von anschlußvorbereitender Systemintegration durchdrungen sind, etliche Komponenten der Sozialintegration beinhalten und daher Kopräsenz ikonisch substituieren können. Die Verständigungskonzepte der Bilder, seien sie auf der Rezeptions- oder Produktionsseite von Akteuren angesiedelt, orientieren sich nicht ausschließlich an Systemen. Den sozialen Systemen widerspricht schon die Erwartungserwartung, daß im wesentlichen unvorhersehbar Plötzliches in Massenmedien erwartet wird. Den funktionalen Systemen widersetzen sich Individuen ebenfalls dann, wenn sie in subjektiver Wahl ikonische Sinzeichen mitteilen. Denn deren Bedeutung, die z.B. die Fotografie eines Freundes erhält, ist vorrangig innerhalb der Sozialintegration zu verstehen. Ansonsten erhält das Foto für eine andere Person nicht einmal annähernd eine ebenso umfangreiche Bedeutung, wie für den Fotobesitzer, der es im selbstverantworteten Augenblick knipste. Hinter diesen fotografischen Augenblicksaufnahmen steht ein individuelles Relevanzurteil, das, wenn überhaupt, in Kontexten der engsten Sozialintegration zur miterlebten Bedeutung kommt. Soziale Systeme, wie sie Luhmann entwirft, registrieren diese an Individuen (Menschen) orientierte Bedeutung allenfalls als Okkultismus oder gar nicht.

Das System greift an jenen individuell orientierten Bedeutungen funktional vorbei, weil es die Zeit-Raum-Kontexte der Sozialintegration, in denen Bedeutung spezifischen Individuen, Gruppen und vor- bzw. nachgeahmten Situationen zugeschrieben wird, nicht ersetzen kann, und weil es in seiner kulturellen Wertpräferenz »Realismus« die Orientierung an ikonischen Inhalten übergeht. Dem System »Fernsehen« ist es nämlich egal, was es an Sichtbarem auswertet. Seine differenzierende Eigendynamik gilt dem, wie es etwas zum bildlich Sichtbaren so auswertet, daß es in ihm überhaupt sichtbar ist. Unsichtbares findet im System »Fernsehen« keine Anschrift, es geht an ihm spurlos vorbei. Differenziert Sichtbargemachtes nimmt zwar mit dem System eine stabile Adresse an, aber es muß jemand die Briefe auch lesen wollen, die an ihn adressiert sind. Sowenig wie jemand aber beliebige Briefe auf Dauer liest, weil sie lesbar sind, genauso wenig sieht sich jemand Bilder an, weil sie etwas Sichtbares zeigen. Ohne systemunabhängige Motivationen sieht vielleicht jemand der Kunst zu, aber ohne sie wird kaum jemand dem Fernsehen zuschauen. Dessen Differenzierungen müssen unterhalten, Lust bereiten, ablenken, informieren, benachrichtigen, illusionieren, phantasieren, vor- und nachahmen. Dem Fernsehbeobachter ist deshalb das Sehen um des Sehens willen unzureichend. Lediglich dem Kunstbetrachter genügt manchmal die Kunsterfahrung um der Kunsterfahrung willen. Neuerdings erfährt er dabei doch selten anderes, als etwas über das Kunstsystem und dessen sozialintegrative Etikette eines anspruchslosen Dabeiseins, dessen Motivationen sich an suchenden Künstlern und weniger am Motiv findiger Kunst orientieren - was durchaus unangestrengt angenehm sein kann.

Systemintegration geht erfolgsorientiert vor: sie motiviert zur Annahme ihrer Differenzierungen, wenn die kommunikative Adresse funktioniert. Beispielsweise sieht jeder den Bildern im System »Fernsehen« zeitweise zu, weil er etwas visuell erkennen kann. Um aber zu erkennen, daß Systemintegration die sozialintegrativen Motivationslagen von Individuen verfehlt, braucht man nur Kindern im System »Fernsehen« ein paar Kunstvideos anzubieten. Kinder boykottieren nämlich nach kurzer Zeitspanne genau das System, von dem sie bei kindergerechten Inhalten kaum ablassen können. Aus diesem Grund der systemunabhängigen Motivationen finden z.B. indische Filme, obwohl sie sich am weltgültigen System »Fernsehen« orientieren, innerhalb der europäischen Gesellschaft kaum Resonanz. Denn die Filme, die in dem Land der zahlreichsten Filmproduktionen hergestellt werden, mimen eine soziale Kopräsenz, die in europäischer Sozialintegration selten mit vergleichbaren Emotionen, subjektiven Bedeutungen und sozialen Verpflichtungen gedeutet wird. Ebenfalls bieten indische Filme in ihrer mimetischen Präsenz einem Europäer wenig von dem, was seine alltägliche Sozialintegration substituieren kann. Der schauspielerische Akteur in indischen Bildfolgen orientiert sich am indischen Publikum. Er orientiert sich deshalb kaum daran, was ein Europäer von seiner Handlungsmotivation und mimetischen Nähe halten bzw. erwarten würde. Deshalb gewinnen anwesende Bildumwelten indischer Herkunft auch ein eigenes Flair, das durch funktionale Fernsteuerungsfunktionen einer "Weltgesellschaft" zumindest bisher nicht eingeholt ist. Das System »Fernsehen« funktioniert zwar für die Kommunikation in einer "Weltgesellschaft", aber die ihr präsentierten Bildumwelten bieten eine mimetische Nahorientierung, die Betrachter den ikonisch anwesenden Personen zurechnen und dementsprechend innerhalb von Emotionen, Sympathien, Identifikationen, Übertragungen, kulturellen Stereotypen, Indizierungen, Beziehungsaspekten, Symbolen usw. verstehen. Überzogen gesagt: man muß sich in anwesende Bildumwelten erst "hineinversetzen", um ihre ikonische Verständigungsabsicht annähernd zu verstehen. Denn die in der anwesenden Bildumwelt veranschaulichten Akteure erwarten die Erwartung ihrer voraussichtlichen Betrachter, um verstanden zu werden.

Aufgrund dieser Nahorientierung an Individuen verkörpern z.B. Filmschauspieler keine Systeme, sondern holzschnittartige Charaktere, die ihnen als personalisierte Erwartungsschablone in der anwesenden Bildumwelt zugerechnet wird. Solche Charaktere und die anwesende Bildumwelt selbst orientieren sich an inhaltlichen Motivationen des Betrachters. Trotz seiner funktionalen Orientierung am System »Fernsehen« erwartet der Betrachter nämlich eine visuelle Kommunikation, deren Ausschnitte aus vorstellbaren Weltbezügen ihn zum Sehen motivieren. Einschaltquoten, die aus individuellen Motivationslagen resultieren, deuten an, ob US-Actionserien, US-Krimiserien, US-Fantasieabenteuer, US-Science-Fiction-Serien usw. auf den Zuschauer sinnhaft bezogen sind oder einfach Überdruß herbeiführen. Vergleichbares versucht auch ein Video von Gegenständen. Mit ihm will beispielsweise der Urlaubsvideofilmer, von Prestige- und Erinnerungswünschen einmal abgesehen, einen Eindruck und eine Emotion erwecken, wie er sie selbst im Urlaub erlebt hat. Ob ihm dies annähernd gelingt, hängt deutlich weniger von seiner Systemintegration als von seiner Sozialintegration ab, in dessen Nahorientierung er seine Fotos zeigt. Kurzum: wenn auch Systemintegration eine funktionale Bedeutung für Bilder trägt, indem sie erfolgsorientierte Kommunikation verwirklicht, so verfehlt sie dennoch pragmatische Bedeutung in einer Bildkultur, die es auf Sozialintegration in mimetischer Kopräsenz anlegt. Wie ist diese Bedeutung für Individuen in ihrer Kultur aufzugreifen; bzw. welche sozialintegrative Bedeutung kommt der Bildkultur zu?

Zu dieser Frage hat Habermas [vgl. 1988a/148] einige Vorschläge gemacht, die er für sein kommunikatives Handlungsmodell unter pragmatischen Gesichtspunkten für relevant hält. Dieser Pragmatik gehe ich im folgenden nach, obwohl es zurückzuweisen ist, wenn Habermas kulturelle Überlieferungen als eine "semantische Dimension von Bedeutungen" [Habermas 1988b/209] beschreibt. Denn Bedeutungen sind an Handlungen, Interpretationen oder Pragmatiken gebunden, sie lassen sich deshalb nicht mit der Semantik oder den kulturellen Signifikationscodes überliefern. Daher gehe ich von der sprachlichen Pragmatik einer Aussage aus, für die Habermas drei mögliche Geltungsansprüche des Akteurs ["Aktors"] feststellt. Dessen kommunikative Handlungen können sich auf objektive/teleologische, soziale/normenregulierte und subjektive/dramaturgische Weltkonzeptionen beziehen. Auf die drei Weltkonzeptionen stützt sich der kommunikativ Handelnde, auch wenn eine der drei Ausrichtungen besonders in den Vordergrund rückt, dennoch gleichzeitig, was im weiteren unbedingt zu beachten ist [vgl. Habermas 1988b/184].

Wie die drei kommunikativen Handlungsbezüge für die visuelle Kommunikation mit ikonischen Objektbezügen relevant werden, möchte ich im folgenden erproben. Dabei soll sich auch herausstellen, wie die kulturelle Verwendung ikonischer Bedeutungsmöglichkeiten innerhalb der Sozialintegrationen zum Tragen kommt. Dies schließt nicht aus, sondern setzt voraus, daß Systemintegration durch die Sozialintegration hindurchgreift. Ansonsten wüßte niemand, wie Bilder, die ja selten dialogisch und in körperlicher Kopräsenz ausgetauscht werden, innerhalb spezifischer Präferenzbereiche der Kultur zu verstehen wären, ob sie z.B. Kunst, Wissenschaft, Fernsehen, Religion oder Vergleichbares sein sollen.

Gemäß Habermas [vgl. 1988a/125ff.; 1988b/183f.] verfolgt ein Akteur in teleologischer oder objektivierender Handlungsmotivation ein Erfolgskalkül bzw. bewirkt das Eintreten eines bestimmten Ziels mit adäquaten Mitteln. Dieses Ziel strebt er an, wenn er seinem Handeln die Erwartung zugrunde legt, daß seine Objektivierungen einen anderen Akteur in dessen Entscheidungen beeinflussen, weil er sich und den anderen an verwandten Weltmodellen von Objektivierungen orientiert sieht. Unter dieser Voraussetzung der wechselseitigen Orientierung beansprucht der Handelnde eine Geltung, die "... nach Kriterien der Wahrheit und der Wirksamkeit beurteilt werden können [oder sein sollen]" [Habermas 1988a/130]. Beispielsweise teilt ein Sprecher einem anderen Mitglied seiner Sprachgemeinschaft die Nachricht mit, daß er sich verbrennen wird, wenn er das heiße Eisen mit ungeschützten Fingern aus dem Feuer holt.

Nun behaupten Bilder, die ja die Generalisierungskraft von situativen Namen unterschreiten, nichts, was wahr oder unwahr sein könnte. Die visuelle Kommunikation selbst veröffentlicht keine Argumente [s.S. 47]. Sie publiziert allenfalls eine singuläre Existenzbehauptung, die im symbolischen Denken ein Argument stützt. Mit visueller Kommunikation läßt sich daher der Effekt erzielen, daß Individuen meinen, eine ikonisch bezeichnete Welt könnte dem optisch ähnlich sein, wie sie objektivierend bezeichnet wurde. Ob eine ikonische Objektivierung aber als solche wirkt, hängt davon ab, ob sie auf die Erwartungsstruktur der sozialen Gruppe bezogen ist. Videos von UFOs treffen beispielsweise selten auf erwartbare Realitätskonstruktionen der Betrachter. Dabei ist es gleichgültig, ob das System »Fernsehen« seine Funktion erfolgreich erfüllt. Fast niemand erkennt in UFO-Bildern eine Objektivierung seiner sozialen Kontexte; fast niemand orientiert seine Handlungen an Bildern von Außerirdischen, da diese im Hintergrundverständnis der meisten Betrachter keinen Bezugsrahmen für mögliche Existenz erhalten. UFO-Bilder verfehlen demnach die sozialintegrative Anerkennung ihrer augenscheinlichen Objektivierung. Sie werden heutzutage vorwiegend als ein Phantasiegebilde beurteilt, dem zwar nicht die Ähnlichkeit mit möglichen Raumschiffen abgesprochen, dem aber die Relevanz für teleologische Orientierungsleistungen in bezug auf empirisch zugängliche Sachverhalte verweigert werden. Würde man dagegen ein Foto im Fernsehen fingieren, das einen tausend Meter breiten Spalt im Muroroa-Atoll nach Atomversuchen zeigt, stände die Authentizität, daß die Welt auseinanderzubrechen droht, schon weniger in Frage, da dies zumindest der Erwartungsstruktur mancher Interpretierenden entspräche.

Ein anderes Beispiel, welches die objektivierende Bedeutung von kulturellen Anschauungsthematisierungen unterstreicht, bietet die Produktwerbung mit Bildern. Um ihre Ware zu verkaufen, bauen Werbestrategen ihren Erfolg darauf, daß der Betrachter einen Gegenstand erwerben will, weil er zwischen diesem und dem Bild von ihm eine Ähnlichkeit vermutet. In vielen Werbestrategien soll aber nicht nur das Produkt verkauft werden, sondern obendrein mit einer ganzen Sozialdimension verbunden werden, die sich in ihrem ästhetischen Lifestyle mit dem Produkt symbolisch einstellen soll. In solch teleologischer Orientierung handelt man im Illusionsmarketing nach dem erfolgreichen Prinzip: sehen Sie Claudia Schiffer in Otto-Versandhaus-Moden und Sie könnten beim Kauf dieser wie jene aussehen oder wenigstens Claudia Schiffers Lebenskontexte kommunikations- und integrationswirksam symbolisieren [s.S. 201]. Ohne Sprache oder zumindest ohne soziokulturelles Hintergrundwissen, das die öffentliche Bedarfsbeeinflussung in ihrer Bedeutung markiert, wäre zwar die Verkaufsbotschaft unverstanden, aber der Effekt des Bildes hätte trotzdem ausgereicht, um den Betrachter zur Existenzannahme einer bestimmten Person oder Sache zu bewegen. Insofern erlangen manche Bilder eine Wirksamkeit, die als Objektivierung einer optisch wahrscheinlichen Welt gelten kann, wobei es vollends egal ist, ob das suggerierte Nutzenkalkül des Produzenten vom Konsumenten angenommen wird. Relevant ist die Objektivierung, die den Bildbetrachter zur Annahme einer potentiell erreichbaren Welt bewegt. In dieser objektivierenden Bedeutung haben Bilder eine herausragende Stellung in der gesellschaftlichen Kommunikation eingenommen, weil ihr ikonisches Wissen bisher glaubhafter als symbolisches Wissen die Existenz einer Sache beweisen sollte.

Mit der neuerdings vereinfachten Manipulation der ikonischen Semantisierungsmaschinen schwindet gewiß die Glaubwürdigkeit des ikonischen Wissens, dem man die realitätsgetreue Aufzeichnung einer gegenständlichen Welt abnahm. In dieser Entpragmatisierungstendenz kartographieren Bildobjektivierungen eine unerreichbare Weltmöglichkeit, um dem televisionären Infotainment der Unterhaltungsindustrie nachzukommen. Darum entfaltet die Unterhaltungsindustrie einen Illusionskontext, in dem nicht mehr verleugnet wird, daß sich die Bildkultur ungestört von irgendeiner Natur und Welt entfaltet hat. Die Bildnerei, von der Cézanne [s.S. 220] erwartete, sie wäre eine Harmonie parallel zur Natur, gibt sich derzeit als Vertikale zur Natur zu erkennen, da sie diesen naturorientierten Ursprung zum Absprung in unendliche Sphärenklänge nutzte.

Ohne Parallele beziehen sich Bilder in teleologischer Handlungsmotivation selten auf eine erreichbare Welt. Sie thematisieren eine Welt von möglichen Sachverhalten, die sozialintegrative Aspekte einer anwesenden (Bild-)Umwelt erweitern, sofern diese als mimetisch kopräsent angenommen wird. Nicht Kommunikation, sondern mimetische Nähe über visuelle Wahrnehmung ist hier der Verständigungsrahmen, der die konzeptualisierte Wahrnehmung anderer wahrnehmbar macht. Man sieht sich in mimetischer Kopräsenz, ohne daß diese ferne Nähe in Konflikt umschlagen könnte, da sie dialogisch bzw. kooperativ meist unzugänglich ist. Darum liegt eine motivationale Anziehungskraft von televisionären Bildumwelten darin, daß mimetische Kopräsenz ohne Konfliktrisiko vom Betrachter erlebt oder einfach abgeschaltet werden kann. Ein Konsens darüber, welches Bild die wahre Welt thematisieren würde, ist nicht angestrebt und auch zweifellos unmöglich. Jedes Bild thematisiert eine ihm eigene Ähnlichkeit zu Sachverhalten, deren Identität ohne Symbolisierungen nicht behauptet werden kann. Merkmalsidentität kann ikonisch vermittelten Sachverhalten erst dann abgesprochen werden, wenn Non-Ego-Erfahrungen die behauptete Identität von Bild und Sache als indexikalische Unähnlichkeit entlarven können oder wenn die Ähnlichkeit zwischen zwei Bildern so unwiedererkennbar ist, daß deren behauptete Identität im Symbol verneint werden kann. Aus beiden Fällen ist ersichtlich, daß nur Symbolisierungen über die Generalisierungskraft verfügen, die innerhalb eines Geltungskontextes als wahr oder unwahr kritisierbar ist. Hingegen übernimmt die Kultur von Bildern in teleologischer Handlungsmotivation eine Bedeutung, die innerhalb der Sozialintegration etwas Abwesendem zur unnegierbaren Anwesenheit einer (sozialen) Kopräsenz verhilft. Deshalb ist die ikonische Kulturthematisierung der Bilder daran orientiert, wie den anderen weitgehend unreflektierte (Wahrnehmungs-)Erfahrungen einer mimetischen Welt- und Kopräsenz zugänglich gemacht werden können.

Und genau in dieser Wirkungspräsenz produzieren Bilder eine Sensationsfülle, der gegenüber Betrachter eine zeitliche und räumlich simulierte Gemeinsamkeit erleben, die sie als unnegierte Wir-Beziehung hinsichtlich einer anwesenden Umwelt erfahren. Diese Bildumwelt erschafft eine Welt "unserer gemeinsamen Erfahrung", die in den meisten Fällen zur kulturgemäßen Einstellung eines fraglos Gegebenen, einer bestimmbaren Unbestimmtheit wird. Insofern partizipieren Bildumwelten an der von Schütz und Luckmann beschriebenen Wir-Beziehung. In dieser werden Erfahrungen als gemeinsame Erfahrungen erlebt; "denn weder die Wir-Beziehung noch der Mitmensch in ihr werden reflektiv erfaßt, sondern werden [mimetisch] unmittelbar erlebt" [Schütz u. Luckmann 1979/96]. Den Ritualisierungen nicht unverwandt, verfügen Bilder daher auch in unserer Kultur über eine objektivierende Wirksamkeit, die Bereiche tatsächlicher Sozialintegration per mimetischer Kopräsenz substituiert, um Dissensrisiken einer tatsächlichen Nahorientierung auf mimetische Wir-Beziehungen zu reduzieren, da diese im Bild abschaltbar sind [s.S. 137]. Im extremen Fall verdoppeln Fernsehbilder keine Sozialdimension, sondern substituieren diese, indem sich beispielsweise Internetnutzer in unendlichen Verästelungen zu fiktionalen Sub-Gruppen zusammenfinden. Oder einfacher und demonstrativ überzogen gesagt: unsere Wir-Beziehung in gemeinsamen Weltbildern speist sich aus der anwesenden Umwelt gemeinsamer Bildbeziehungen. Bildkultur spielt hier ihre Überlegenheit gegenüber Sprachkultur aus, indem sie bestimmbare Unbestimmtheiten ihres ikonischen Wissens im unreflektierten Zustand kollektiv präsent zu halten vermag. Man sieht in der Bildkultur das "gleiche" in der Annahme, man würde sich somit gleichen, ohne zu wissen und auch wissen zu wollen, ob man auch das "gleiche" denkt. Denn vermeintlicher Konsens erweist sich dort am beständigsten, wo nicht gesprochen wird, wo Kommunikation von weitgehend vorkommunikativer Wahrnehmung ersetzt wird und wo Bilder die Nähe einer anwesenden Umwelt fingieren. Man bringt sich deshalb mit dem Bild dasjenige näher, von dem man sich entfernt hat oder entfernt fühlt.

Inwiefern läßt sich der Begriff des normenregulierten/sozialen Handelns auf Bilder beziehen? Mit diesem Begriff spricht Habermas einen Akteur an, der sein Handeln an Normen und Werten seiner sozialen Gruppe ausrichtet. Alle Handelnden, die die jeweiligen Normen in ihrer Gültigkeit akzeptieren und als gesollt anerkennen, gehören nach Habermas derselben sozialen Welt, demselben Kreis von individuellen Adressaten an. Die "... Norm besteht oder [genießt] soziale Geltung ..., wenn sie von den Normadressaten als gültig oder gerechtfertigt anerkannt wird" [Habermas 1988a/132, vgl. 127ff.; 1988b/183].

Bezüglich eines ausschließlich visuell kommunikativen Handelns lassen sich solche Normen, die grundsätzlich nie statisch sind, nur bedingt beschreiben, weil ästhetische Normverletzungen z.B. in der Kunst, Werbung und im Fernsehen besonders anerkannt und dem Kommunikationsprinzip »Aufmerksamkeit« förderlich sind. Rein ästhetische Kontexte, in denen mit ikonischen Bezeichnungsformen visuell kommuniziert wird, können selten nach ihrer normativen Angemessenheit beurteilt werden. Denn seitdem Bilder aus herrschaftlichen Legitimationsdiensten der Kirche und sonstigen weltlichen Herrschern entlassen sind, ist jeder im ästhetischen Sinne berechtigt, sich von allem ein Bild zu machen. Und selbst jene Herrschaftsinteressen bzw. die ihnen geltenden Bilderstürme waren - wie beschrieben [s.S. 213] - nicht ästhetisch, sondern symbolisch motiviert. Deshalb ergründet der Begriff des normenregulierten Handelns kaum ikonische Bilderwelten, sondern Legitimationen und normative Angemessenheiten einer symbolisch konstruierten, sozialen Welt. Die ikonische Kommunikation ist demgegenüber in der Lage, symbolische Normierungen subversiv zu unterlaufen, sofern ihre bedeutungsoffenen Formen im Ikon jeden eindeutig symbolischen Status zurückweisen können. Hierfür ist das Bild des Papstes Innozenz X von Velázques ein kunsthistorisches Beispiel. In ihm erhält der Papst eine symbolische Präsenz, die seinen Ruhm und sein Ansehen symbolisiert, während seine herrschenden Hände im ikonischen Objektbezug leicht zittern und der lauernde Blick und der verkniffene Mund ihn in ein charakter-indizierendes Zwielicht rücken.

Aber auch gegenwärtig unterlaufen bedeutungsoffene Bilder vielfach normative Regulierungen einer symbolischen Weltkonzeption. Beispielsweise darf man Bilder von nackten, verletzten oder toten Menschen in fast allen Situationen zeigen. Zu sozialen Normverletzungen kommt es in der Regel erst dann, wenn symbolische Kontexte hinzutreten, in denen kulturelle Werte symbolisch, also nicht ästhetisch und nicht ikonisch, verletzt werden. Zum Beispiel empfinden es manche Betrachter als eine Überschreitung sozialer Normen, wenn die Firma Benetton ihren Namen dadurch positiv zu etablieren sucht, daß sie Bilder blutiger Kleidungsstücke eines toten Soldaten mit ihrem Firmenlogo zeigt. Hier war die symbolische Norm übertreten, daß man mit dem Leid anderer keine Konsumartikelwerbung machen darf, obwohl Werbebilder für Spendengelder oftmals so grausam wie nur möglich sein dürfen, um die emotionalisierte Öffentlichkeit zur "symbolischen" Tat zu bewegen. Diese normregulierten Bereiche betreffen eindeutig nicht das visuell kommunikative, sondern das symbolische Handeln in passenden oder unpassenden Kontexten. Denn mit ausschließlich ikonischen Äußerungen, die weder Wahres noch Unwahres, noch Negierbares thematisieren, lassen sich keine Befehle oder normative Vorgaben aufstellen. Selbst das teils ikonische Piktogramm "Rauchen verboten" erfordert ein Symbol, das im »Zigaretten negierenden Querstrich« verbaler Erörterung bedarf. Erst wenn dieses Negations-Symbol mittels Sprache verstanden ist, kann die Angemessenheit des Verbots überhaupt in Frage stehen.
Ohne symbolische Kontexte, die im verbalen oder zumindest alltäglichen bzw. rituellen Handlungsraum ihre Stabilität finden, sind soziale Normen aus rein ikonischen Bildern nicht ersichtlich. Einer normativen Sozialintegration, die beispielsweise im Ritual gemeinsame Identifikationen mit den Heiligen herstellt und damit auch die Identität einer Gruppe konstituiert, entfliehen vorsymbolische Bilder. Nicht Identität, die in sozialer Zugehörigkeit ihr Motiv findet, sondern individuelle Eigenständigkeit, die vom Gleichbleibenden abweicht, ist das Paradigma, in dem die vorsymbolischen Erlebnisangebote von Bildern soziale Integration erzielen. Deshalb unterlaufen ikonische Bilder im Vorsymbolischen sozial normierte Identitätsvorstellungen.
Aufgrund der ikonischen Identitätslosigkeit darf das System "Fernsehen" mittlerweile nahezu alles zeigen, was vor den Bildsucher der Kamera kommt. Denn Wahrnehmen und kurzzeitiges, gegebenenfalls flüchtiges Hinsehen muß nicht verantwortet werden, weil es dafür in fast allen sozialen Kontexten keine Norm gibt, deren symbolische Geltung eine Kritik legitimieren würde. Insofern ist das Hinsehen mit einer ikonischen Semantisierungsmaschine eine Immunisierungsstrategie gegen nahezu jede symbolische Norm eines Sozialkontextes. Von niemandem kann verantwortet werden, daß etwas so aussieht, wie es das Bild bezeichnet, zumal immer abgestritten werden kann, daß eine symbolische Absicht, die ja zunächst symbolisierend erdeutet werden muß, dahinter steckt. Somit erhält der Begriff des normenregulierten Handelns für visuelle Kommunikation eine zurückzuweisende Relevanz: in unserer Kultur liegt die Bedeutung von Bildern darin, daß deren vorsymbolische Kommunikation die meisten Sozialnormen positiv wie negativ hintergeht. Der geschickte Akteur darf nämlich von fast allem ein kommunikativ wirksames Bild zeigen, ohne daß er Normen eines symbolischen Gesellschaftskontextes verletzt und überhaupt berührt. Denn in diese sozialen Kontexte schleicht sich vorsymbolische Ähnlichkeit kraft ikonischer Sichtbarkeit ein, der ein subversiver Impuls zuteil wird, weil die symbolischen Deutungen und Normierungen unaufhörlich der bildlichen Mimesis hinterherhinken. Bilder erhalten deshalb ihr sozialintegratives Moment gerade dann, wenn sie ihre Normdistanzierung vorsymbolisch, aber subjektiv einsichtig ausspielen, worin eine weitere Bedeutung ihrer Kulturformen für Gesellschaften verdeutlicht ist. Der emotionsmotivierte Sinnkonsens und das jetzt zu erläuternde dramaturgische Handeln nehmen für diese subversive Unterschreitung kollektiver Normierungen einen besonderen Rang ein.
Mit dem Begriff des subjektiven oder dramaturgischen Handelns beschreibt Habermas einen Akteur, der weder Objektivationen noch Normatives in der sozialen Gruppe thematisieren will. Das dramaturgische Handeln bezieht sich "... auf Interaktionsteilnehmer, die füreinander ein Publikum bilden, vor dessen Augen sie sich darstellen. Der Aktor [Akteur] ruft in seinem Publikum ein bestimmtes Bild, einen Eindruck von sich selbst hervor, indem er seine Subjektivität mehr oder weniger gezielt enthüllt" [Habermas 1988a/128]. In diesem dramaturgischen Handeln versucht der Akteur etwas zu konzeptualisieren, was er sich selbst und auch jeder andere ihm als subjektive Expression seiner Wünsche und Gefühle zurechnet. Inwieweit die Zurechnung als subjektiv Eigenes in aller Konsequenz berechtigt ist, steht dabei außerhalb des Blickpunktes und müßte vom psychoanalytischen Standpunkt her eher verneint werden. Entscheidend ist, daß dem dramatisierenden Akteur ein privilegierter Zugang zu seiner Innenwelt zukommt, die er in seiner Innenorientierung erfährt. Und auch wenn ein filmisches Drama keinem einzelnen Akteur zuzuschreiben ist, benennt es doch durchgängig eine Situation, die als aktuales »Geschehen« eine subjektive »Spannung« und »innere Bewegtheit« beinhaltet. Eine inhaltliche Dramatik ist somit orts- wie zeitbezogen auf Anteilnehmende ausgerichtet, wenn diese sie subjektiv miterleben sollen.
Folgt man Habermas, dann "... [setzt] das dramaturgische Handeln ... Sprache als Medium der Selbstinszenierung voraus" [Habermas 1988a/142]. Wie sich aber gleich zeigt, kann das dramaturgische Handlungsmodell für Bilder auf Sprache und Symbolisierungen als Medium verzichten und erhält deshalb eine wesentlich größere Wahlfreiheit der Inszenierung in stilistischen und ästhetischen Ausdrucksformen. Ob aber Bilder das Selbst eines Individuums inszenieren, scheint vor dem Hintergrund fraglich, daß man den kommunikativen Verweis auf sein Selbst ausschließlich in Zeichen erbringen kann, die das Selbst nicht selbst sind, sondern zu ihm allenfalls ein mimetisches Verhältnis haben, dem man je nachdem Glaub- oder Unglaubwürdigkeit, Aufrichtigkeit oder Täuschung unterstellt. Trotzdem, und darauf kommt es im dramaturgischen Handeln mit Bildern an, sind subjektive Bildner eine eigendynamische Quelle für ikonische Konzepte, bei deren nichtmaschineller Erstellung selten zwei identische Bilder vorkommen. Die Einmaligkeit eines Bildes (ikonisches Sinzeichen) beruht deshalb auf der subjektiven Entscheidung des Bildners. Ob in dieser Subjektivität sein Selbst zu erkennen ist, sei dahingestellt, oft vermutet er es nicht mal selbst darin. Substantiell ist, daß er in Bildern Dinge thematisieren kann, die vor ihm niemand derart zur Anschauung gebracht hat. Von dieser dramatisierenden Inszenierung des ewig Aktuellen und manchmal Neuen zehren Bilder und nährt sich letztlich sogar das System »Fernsehen«, das mit seiner Selbstentfremdung auch seinen Bildner verschlang, dessen eigendynamische Subjektivität und situative Expression aber wirksam blieb. Ohne verantwortlichen Bildner, das versteht sich von selbst, rechnet der Betrachter die Dramatik dem zu, dem das Bild seine spezielle Situationsaufnahme verdankt, nämlich dem Weltgeschehen. Das System »Fernsehen« entlastet somit den Bildner von persönlicher Verantwortung, da diese das ikonisch Dargestellte selbst erhält.
Um seine Innenorientierung kommunikationswirksam anzubringen, nutzt ein Bildner den kulturellen Signifikationsstil [s.S. 208]. Dessen kulturelle Merkmale verdankt er den Legizeichen, die ihm die zuschauerbezogene Stilisierung seiner subjektiven Erlebnisse ermöglichen. Die allerdings herausragende Eigenschaft und Attraktivität von Bildern liegt in deren semantischer Bezeichnungs- und pragmatischer Bedeutungsautonomie. Was man mit einem Bild ikonisch bezeichnen und rhematisch bedeuten will, gehorcht nämlich keiner kollektivierten Regel, Vorverständigung oder symbolischen Sprache. Ein Individuum kann das Sinzeichen vollständig subjektiv wählen und trotzdem erhält dieses infolge des Legizeichens (kulturelle Zentralperspektive) eine annähernd monosemantische Bezeichnungsfunktion, die freilich polypragmatisch zur Bedeutung kommt. Diese zurechenbare Subjektivität hatte ich mit dem Fotoapparat begründet, der innerhalb seiner Sinntautologie vor keinem Sinn der Form zurückweicht [s.S. 183]. Mit ihm kann man alles subjektiv dramatisieren und doch auf die zuschauerbezogene Stilisierung vertrauen, daß fast alles im Foto wiedererkannt und visuell verstanden wird. Ob dabei außerdem die subjektive Expression in der Bedeutung verstanden bzw. vom Betrachter nachvollzogen wird, ist zweifellos gänzlich offen.

Aufgrund der dramaturgischen Autonomie des subjektiv handelnden Individuums schreckt die Kunstgeschichte und Denkmalpflege vor dem anhaltenden Bilderboom zurück. Kunstgeschichte interessiert sich nicht so sehr für Bilder. Sie sucht - ihrer namentlichen Systempräferenz gemäß - historisch vertextete Symbole und stilistische Indizes, die sie den ehemaligen und kaum den gegenwärtigen Bildern zuordnen kann und als Kunst verstehen möchte. Das symbolisch Ausdruckslose findet in der Kunstgeschichte keinen Ort, wenn es weit genug von den Rändern sprachlicher Begehbarkeit entfernt ist. Die Dramatisierungen in Bildern leben indessen davon, daß sie soziologistischer Symbolinterpretation zu entfliehen suchen. Nicht die Gesellschaft findet sich hier im Bild wieder, sondern eine individuelle Wertpräferenz, die zugegebenermaßen von Lebenskontexten und sozialen Objektivierungen beeinflußt ist. Jedoch stimuliert eigens die rückhaltlose Symbolentsagung das Interesse am Bild. Ihrer Autonomie, d.h. ihrer subjektiven Selbstgesetzlichkeit, ist es zu verdanken, daß ein dramatisierendes Bild einem Individuum und/oder einer individuellen Situation zugeschrieben wird. Nichts außer der individuellen Subjektivität und der originell einzigartigen Situationsaufnahme nämlich stehen dafür ein, was im »Inhalt« des kulturellen »Wie« eines ikonischen Bildes dramatisiert wird. Das soziale System und die objektivierende Kulturperspektive nehmen keinen Anteil daran, haben keine Emotion dafür, warum sich die situative Subjektivität eines Bildners mittels des Bildes so darstellt, wie sie sich darstellt. Die individuelle Situation ist in der kommunikativen Verständigungsabsicht erfaßt, obwohl niemand unverzüglich symbolisieren kann, wie sie in ihrer Bedeutung zu verstehen ist. Denn Subjektives ist überdies vom Subjekt erst in seiner Dezentrierung von sich selbst verbal-symbolisch zu verstehen, indem es sich aus der Position des verallgemeinerten Anderen fragt, was sagt mir die Emotion, die mir widerfuhr. Daher sperrt sich der dramatisierende Effekt des Bildes jeder symbolischen Verortung; entweder man erlebt die Dramatik eines Bildes, oder man erlebt sie nicht. Symbolisch oder mit Sprache ist die subjektive Erlebnisorientierung, die das Bild als emotionsmotivierten Sinnkonsens herbeizuführen sucht, jedenfalls keineswegs einzuholen. Individuen fühlen sich deshalb innerhalb ihrer expressiven Subjektivität verstanden und sozial integriert, sobald sie wechselseitig vermuten, sie hätten Gleiches miterlebt. Diese Approximationshoffnung subjektiver Reziprozität wird von Symbolisierungen eher zerstört als unterstützt. Deshalb verzichtet man in permanenter Subjektivierung origineller Bild-Konzeptualisierung auf einen symbolischen Status. In ikonischer Subjektivierung sucht man sich dem mimetisch anzunähern, dem man ansonsten nicht kommunikativ begegnen könnte. In diesem vorsymbolischen Tun immunisieren sich Bildner gegen sprachliche Konsensbemühungen und objektivierende Handlungsorientierungen. Sie erwecken ihre subjektive Bedeutung im dramaturgischen Handeln unmittelbar direkt kraft gegenständlicher Bildpräsenz eines aktualen Geschehens. Denn Bildbetrachtung ist ausschließlich als aktuales Wahrnehmungsgeschehen zu erleben, ansonsten ist sie ein Denken, ein Symbolisieren, aber keine Bilderfahrung eines Wirklichkeitsflusses.
Das dramaturgische Handeln in der Bildkommunikation tritt zweifellos nicht unabhängig vom objektivierenden Handeln auf. Irgend etwas muß in nahezu allen Fällen im oder am Bild wiedererkannt werden, damit das ikonische Bild als solches identifiziert wird. In Begriffen bleibt der subjektive Ausdruck des Bildes jedoch oft unvernommen. Sie schließen sich meist dem objektivierenden Handeln an, indem man beispielsweise deutlich sieht, daß die optischen Zeichen des Bildes einen Hubschrauber bezeichnen. Das dramaturgische Handeln zielt hingegen auf emotionalisierende Bedeutungen eines Bildes. Vernommen ist dieser subjektive Ausdruck, sobald man den Wert und die Bedeutung innerhalb seiner individuell motivierten Eigenbeiträge so versteht, daß man meint, man könne sie dem Bildner oder dessen unisituationalen Konzeptualisierung zuschreiben. Natürlich führt kaum jemand das situative Fernsehbild auf den Bildner zurück, aber auch hier erscheint eine Dramatik, die einer äußerst individuellen Situation bildnerischen Ausdruck verleiht. Kein anderer Kommunikationscode gestattet eine solch konzeptionelle Reagibilität, wie sie Bilder in ihrem Sinn hinsichtlich flüchtiger Gegebenheiten dramatisieren. Aus diesem Grund wird die Anzahl von Bildern die von Büchern, Musikkompositionen, Skulpturen und anderen Ausdrucksformen übersteigen, wenn es nicht schon soweit sein sollte.

In der möglichen Vielfalt und individuellen Eigenverantwortlichkeit liegt die herausragende Bedeutung von Bildern für Kultur und Gesellschaft. Kulturell erweitern Individuen mit ihren ikonischen Semantisierungsmaschinen die kommunikativen Orientierungsmaßstäbe bis ins Unüberblickbare. Gesellschaftlich hingegen koppeln sich Individuen von verallgemeinerten Bedeutungskonstruktionen ab, wodurch sie sich in subjektiven Bedeutungsaktualisierungen näher kommen und auch privatisieren. Dies geschieht, weil jedem einzelnen in Bildkonzeptualisierungen derart viele Ausdrucksmöglichkeit ermöglicht sind, daß diese in ikonischen Objektbezügen und in subjektiven Bedeutungen ganz allein ihm vorbehalten sein können.

Aus diesem Grund erfüllt sich mit den Fotoapparaten, Videokameras und Computersimulationen Meads Forderung für eine ausreichend entwickelte Gesellschaft, so unterentwickelt sie ansonsten auch sein mag. In ihr sollte sich die Individualität einer Person direkt ausdrücken dürfen, gleichsam eines Künstlers und - Mead meint auch - Wissenschaftlers, in deren souveränen Ausdrucksmöglichkeiten sich die Stereotypen einer Gesellschaft nicht wiederfinden lassen sollen. Denn "in der zivilisierten Gesellschaft manifestiert sich die Individualität weit mehr durch die Ablehnung oder die modifizierte Verwirklichung der jeweiligen gesellschaftlichen Typen als durch Konformismus" [Mead 1988/266]. Nivellierend zu diesem Nonkonformismus betont Mead jedoch, daß ein Individuum seine Identität und Persönlichkeit konstituiert, indem es reflektierte Beziehungen zu allgemein organisierten Verhaltens- oder Tätigkeitsmustern eingeht. In der subjektiven Mobilität nonkonformistischer Beweggründe liegt aber genau die Bedeutung, die Gesellschaften ihrer ikonischen Bildkultur beimessen. Denn ikonische Darstellungsweisen erlauben nicht nur, sondern erzwingen oft eine Expression, die Individuen in zeitsensiblen Nischen zur dramatisierenden ("Selbst"-)Darstellung bringen, um ihrem Ausdruckswillen souverän gegenüber kulturellen Bezeichnungs- und sozialen Bedeutungskonventionen eine kommunikative Form zu geben. Ob dies eigens in der Kunst oder Wissenschaft der Fall sein darf, erweist sich in Anbetracht ihrer strengen Systemgrenzen als ein Mythos. Überzeugendere Modifizierungen einer spontanen Realitätskonstruktion bieten ikonische Semantisierungsmaschinen. Mit diesen fängt der Amateur subjektive Lebenssituationen auf einem kommunikativen Niveau ein, das er seinem privaten Kontext und Ausdruckswillen zugerechnet sehen möchte. Gleichfalls konstruiert das Fernsehen, das ohne diachronische Kulturerinnerungen agieren darf, mit jedem Tag neue ikonische Bezeichnungen unwiederholten Weltgeschehens.
Bei aller ausdrucksmöglichen Souveränität, die Bilder ihren Bildnern erlauben, und bei allen dramatisierten Wir-Beziehungen, die Bilderlebnisse erzeugen, ist die individualisierte Bildkultur trotzdem ein Krisenphänomen. Den Sinn- und Orientierungsverlust, den Individuen in allgemein organisierten Symbolkontexten erfahren, kompensieren sie in privat verfaßten Weltkonstruktionen, deren Interpersonalität sich am individuellen Design und industriellen Styling orientiert. Ohne identitätsbildende Symbolisierungen in der Bild- und sonstigen Kultur erlangen aber auch Individuen keine Identität, sondern allenfalls ein hedonistisches Wir-Gefühl, mit dem sie gemeinsam dem immer wieder neuen Kick nachzujagen pflegen. Für eine solche Erlebnisgesellschaft, deren Solidarität sich im temporären Begeisterungstaumel fundiert, nehmen Bilder eine maßgebliche Stellung ein. Denn die vorkommunikative Kommunikation mittels Bildern überführt die Übereinstimmung zwischen Individuen in einen emotionsmotivierten Sinnkonsens. In diesem versteht man sich, ohne sich zu verstehen, sobald man sich verstanden fühlt, weil jede weitere Kommunikation affirmativ oder überflüssig scheint: man spielt Kommunikation und versteht sich zum Spaß. In diesem Spaß an mimetischer Kopräsenz befriedigt sich der soziale Integrationsbedarf von Individuen, da diese diskursive Verständigungsmechanismen umgehen und ihr projektives Miterleben als Verstehen interpretieren. Ästhetische Opposition oder gar verbales Symbolisieren wäre dann ein schwer aufzuholendes Mißverständnis, dem oft soziale Desintegration folgt. Die moderne Gesellschaft kompensiert diesen sozialorientierten Steuerungsverlust allerdings zunehmend durch Systemintegration in das Steuerungsmedium Geld, was man schon daran erkennen kann, daß die finanzielle Unterstützung unseres Staates als soziale Unterstützung gilt.


   IV. Schlußbetrachtung auf den soziologischen Ertrag Inhaltsverzeichnis   Home
 
Wenn Soziologie an menschlicher Kommunikation interessiert ist, liegt für sie der Ertrag meiner Darlegung in der Auseinandersetzung mit der Frage, wie visuelle Kommunikation mittels Bildern anschauliche Kartographien vermittelt, um Orientierung und Koordination für Individuen zu leisten. Dieser Ertrag bietet für die Soziologie nicht nur differenziert dargestellte Ansatzpunkte dafür, welche semiotischen und wahrnehmungspsychologischen Prämissen eine Theorie der visuellen Kommunikation weiterführen, sondern der Ertrag liegt zudem in der Analyse der Fragen, wie Bilder ein kulturelles und soziales Gedächtnis darstellen, wie sie ein Wissen vermitteln und worin dieses Wissen besteht, wann Bilder einer Tradition und Konvention nachkommen, ob ein kollektiv Bewußtes sowie Unbewußtes für sie vorliegt, und schließlich, welche Bedeutungen für Gesellschaften sie aufgrund ihrer Kultur erhalten. Diese zentralen Termini der Soziologie ergründeten deren Theorien bezüglich Bildern bisher unzureichend, obwohl Individuen derzeit soziale Beziehungen mehr und mehr mittels visueller Kommunikation aufnehmen und ersetzen.

Zwar führt die Soziologie das Schlagwort »Globalisierung« in ihrer Fachsprache, doch sehe ich kaum Theorien, die die Globalisierung kultureller Beziehungsaspekte durch Bilder adäquat ansprechen und die konzeptualisieren, daß damit ein emotionsmotivierter Sinnkonsens bzw. Dissens angestrebt wird, der symbolische Kommunikationsbarrieren zwischen Kulturen unterläuft. Andererseits ist aber hinsichtlich der Bedeutungen von Bildern zu erkennen, daß sie trotz synchronischer Kulturformen für Gesellschaften selten im kommunikativen Inhaltsaspekt weltweit synchron zugewiesen werden. Zweifelsohne thematisiert diese Beschreibung nicht den definitiven Gesellschafts- und Kulturbegriff, da Soziologen mit zahlreichen Begriffsdefinitionen arbeiten. Gleichwohl demonstriert die semiotische und soziologische Fundierung zumindest, daß der syntaktisch-semantische Signifikationscode kulturelle Aspekte beschreibt. Demgegenüber ergeben sich gesellschaftliche Aspekte aus der aktualisierten Bedeutung und Interpretation. Die Unterscheidung gesellschaftlicher und kultureller Aspekte verdeutlicht auch, daß nur existierende Gesellschaften eine Bedeutung aktualisieren, wenngleich sie Kultur noch in vergangener oder entfernter Bildkultur erkennen.

Falls Bildkommunikation durch Reflexions-Prismen soziologischer Theorien beobachtet werden soll, legen insbesondere die semiotischen Aussagen dar, warum soziologisch orientierte Beobachter unzureichend beraten sind, sobald sie den symbolischen Interaktionismus als ihren Ausgangspunkt wählen. Dieses Defizit beginnt nicht erst bei der Analyse des Symbols, sondern bereits dort, wo die Unterscheidung nonverbal/verbal oder gestisch/symbolisch jede menschliche Kommunikationsform beschreiben soll. Die tradierten Analogien zu verbalen Symbolen führen viele Soziologen zur abwegigen Annahme, bildliche Formulierungen wären restlos durch Konventionen, Codes und ein kollektiv Unbewußtes vorgesteuert oder sie wären wie eine Sprache organisiert, die sich sogar als ein (Zeichen-)System erweisen könne. Die symbolbefangenen Analysen kommen denn auch oft zu der Ansicht, Wissen könne in symbolischen Formen gespeichert werden, da deren Bedeutung aus der intersubjektiven Haltung des verallgemeinerten Anderen abzuleiten sein soll. Im Rückgriff auf semiotische Theorien mußte und konnte deshalb für die Soziologie gezeigt werden, daß Bildkommunikation ihre Objekte nicht vorrangig symbolisch oder indexikalisch (gestisch), sondern ikonisch per Anschaulichkeit bezeichnet. Das indexikalische Zeichen hat für Bilder oft nur die entscheidende Aufgabe, auf die Funktion des Bildes als Bildkommunikation hinzuweisen und aufmerksam zu machen.
Die Semiotik begründet zudem, warum Bedeutung nicht an symbolische, indexikalische und ikonische Bezeichnungen (Semantik), sondern an deren pragmatische Interpretation gebunden ist. Infolge dieses Blickwinkels auf Pragmatik erweist sich der Begriff »Intersubjektivität« als unhaltbar. Einen ungleichwertigen Ersatz für »Intersubjektivität« bietet der weniger anspruchsvolle Begriff »Interpersonalität«, mit dem die kommunikative Erreichbarkeit mehrerer Personen gemeint ist, ohne unverzüglich einen Konsens in bezug auf Bedeutungen zu unterstellen. Denn weder ikonische noch symbolische Zeichen verfügen nie über eine Bedeutungsinterpretation, die in beendbarer Analyse auf Konstanz getrimmt werden kann. Diese Stetigkeit der Bedeutung ist schon für die Lebenserinnerung eines Individuums mehr als fraglich, für Gesellschaften oder Kollektive ist sie unmöglich. Symbolische Zeichen verfügen allenfalls über ein driftendes Spektrum hinsichtlich ihrer Bedeutungen in einer gesellschaftlichen Epoche. Ikonische Zeichen (Bilder) initiieren hingegen grundsätzlich interpretativ offene, polypragmatische Bedeutungen. Lediglich in ihrem kulturellen Darstellungsstil, d.h. der kulturellen Syntaktik, neigen sie zu der Erwartungssicherheit, daß es ihren monosemantischen Kulturformen gelingen wird, visuell kommunikativen Anschluß an Personen zu erhalten.

Die Analyse des Visuellen bei der visuellen Kommunikation erbringt eine Antwort auf die Frage, warum zwischen visueller Information und kommunikativer Nachricht der Zeichen zu unterscheiden ist. Das Interesse hinsichtlich Bildern gilt nämlich nicht überwiegend interpretierten Nachrichten, sondern der visuellen Information, die weitgehend vorkommunikativ als eine anwesende Bildumwelt wahrgenommen wird. Aus diesem Grund wird die kommunikative Praxis von Bildern darin gesehen, unwillkürliche Aufmerksamkeit mittels unerwarteter Seherlebnisse und Sensationen zu binden. Der Informationsbegriff verdeutlicht überdies, wie Bilder ein ikonisches Wissen mitteilen, das an die visuell kommunikative Kompetenz des Betrachters gebunden bleibt. Betrachter erlangen diese Kompetenz im Prozeß der visuell kommunikativen Abduktion, d.h., sie unterliegen während der Bildbetrachtung einerseits assimilierten Zensurmechanismen, wenn sie sich von ihrem Gedächtnis und ihrer Gewohnheit leiten lassen, andererseits akkommodieren sie aber auch innovative Darstellungsstrukturen, die wiederum die visuelle Kompetenz verändern. Wenn daher soziologische Theorien visuelle Kommunikation beschreiben wollen, sind sie genötigt, zwischen Wahrnehmung und Kommunikation, Information und Nachricht, sowie zwischen Gegenstands- und Zeichenbedeutung zu unterscheiden. Diese Unterscheidung klärt, warum der perfekte Cyberspace oder virtuelle Raum sich der Funktion entzieht, die als Kommunikation mittels Bildern aufzufassen ist. Überdies verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Wahrnehmung und Kommunikation, daß Individuen zeitweise im vorkommunikativen Bewußtsein der visuellen Kommunikation folgen.

Die semiotische und wahrnehmungspsychologische Argumentation belegt, daß Gesellschaften ihr soziales Gedächtnis kaum länger als über acht Generationen in verwandten Bedeutungen erinnern, wenn sie ihre schriftliche Kommunikation auf Bildkommunikation umstellen. Zeichnen Gesellschaften ihre Gegenwart nur in Bildern auf, dann vergessen sie historische Bedeutungen vollständig und erfinden diese beliebig. Jedoch verlieren diese Gesellschaften nicht ihre Kultur als Gedächtnis, wenn sie Bilder zur Kommunikation verwenden. Denn sie erhalten sich mit der Kultur als synchronischem Gedächtnis eine Thematisierungsweise, die die kommunikative Sensibilität unterschiedlicher Kommunikationssysteme beibehält. Für diese Funktionserfüllung muß die Kultur nicht als diachronisches Gedächtnis bewahrt werden, da materielle Hinterlassenschaften der Vergangenheit unerheblich sind, um den ikonischen Signifikationscode der Bildkultur fortzusetzen. Falls Bilder aber in dauerhaften Materialien aufgezeichnet wurden, dann repräsentieren sie ihr bezeichnetes Objekt, ihre kulturelle Einheit, wesentlich leichter verständlich als die symbolischen Bezeichnungen der Sprache, obwohl die Bedeutung der ikonischen Bezeichnung beliebig ist.

Da Gesellschaften identische Bedeutungen nicht aus einem Speichergedächtnis abrufen können, ist es ihnen gleichfalls verwehrt, ihr ikonisches Wissen in Bildern ohne interpretatorische Veränderung zu speichern. Sie müssen es jeweils in visueller Kommunikation aktualisieren, weshalb es biographischen und historischen Veränderungen der Bedeutungsinterpretation und der visuellen Akkommodation bzw. Assimilation unterliegt. Die Darstellung dieser visuellen Prozesse verdeutlicht auch, warum ikonisches Wissen deutlich mehr visuelle Informationen als indexikalische oder symbolische Nachrichten initiiert. Daher ist Foucault zu entgegnen, daß Ähnlichkeit sich keineswegs aus dem Gebiet der Erkenntnis entfernt, sondern sogar in den Wissenschaften verstärkt mittels Bildern kommuniziert wird. Die Kritik an Foucault hebt hervor und die Tendenz gegenwärtiger Kommunikationsweisen bestätigt es, daß die Wissenssoziologie über beträchtliche Wissensdokumentationen der Gesellschaft hinwegsieht, wenn sie Bilder und ikonische Objektbezüge vernachlässigt.
Des weiteren legt die semiotische Fundierung dar, warum ikonisches Wissen vorrangig im Darstellungscode einer Konvention und Tradition folgt. Im ikonischen Objektbezug und dessen offener Bedeutung benötigen und besitzen Bilder keine kulturelle Konvention oder Tradition, um verstanden zu werden. Daher können und wollen Individuen mittels Bildern ihre subjektiven und privaten Thematisierungen formulieren. Gleichfalls suchen Akteure der Massenmedien die Kultur subjektiv zu modernisieren, indem sie emotional attraktive Wahrnehmungserlebnisse anbieten, die gegebenenfalls noch auf vergesellschaftete Bedeutungen und Symbolisierungen warten.

Um darzulegen, wie Bilder als ikonisches Wissen eine Relevanz erlangen, wurde erläutert, wie sie ihren tautologischen Sinn der durchsichtigen Undurchsichtigkeit als eine selbstreferentielle Weltkonstruktion projizieren, die die Welt keineswegs abbildet: Individuen bilden mittels Bildern nie Gegenstände ab, sondern sie bilden kommunikationsinterne Objekte, die als Abbildung eines externen Objekts gelten sollen. Hinzu kommt die Feststellung, daß Individuen bildliche Zeichen heutzutage nur noch selten als Symptom ihres konzeptualisierten Bewußtseins artikulieren, sondern bildliche Konzepte den Formulierungen syntaktisch-semantischer Sinnautomaten (Kameras) überlassen. Diese Bildproduktionsweise verdeutlicht, warum Bildautomaten eine organisierte Komplexität herstellen, deren informationelle Entropie von Interpreten entweder weitgehend widerspruchslos hingenommen wird oder nur sehr zeitaufwendig verbalsymbolisch verstanden werden kann. Daher bahnt sich eine Entpragmatisierungstendenz infolge automatisch erstellter Kartographien (Bilder) an, da deren visuell kommunikative Koordination der Koordinationen (Handlungen) kaum Orientierung leistet, die alltagspraktisch relevant wird.

Bis heute verwenden soziologische Theorien zur Kommunikation den Terminus »Kollektivbewußtsein«. Eine kritische Abwägung dieses Begriffs war daher hinsichtlich Bildkommunikation erforderlich. Die Kritik am Begriff »Kollektivbewußtsein« zeigte auf, daß sich Kollektive unmöglich in einem Bewußtsein vereinigen können. Deshalb führen meine Überlegungen zum Begriff der »kollektiven Merkmale«, die Individuen spezifischer Kollektive als kulturelle Darstellungsstrukturen bewußt und unbewußt wiedererkennen. Aufgrund des ungeigneten Begriffs »Kollektivbewußtsein« ist ebenfalls auch die These des kollektiv Unbewußten bei der Bildkommunikation zu verwerfen: allenfalls folgen Individuen, aber nicht Kollektive, den kollektiven Merkmalen der Bildkommunikation temporär unbewußt. Kollektive Merkmale ermöglichen daher einen kognitiv bewußten sowie unbewußten Erkennungscode, den Individuen als einen konsensuellen Bereich nutzen und den sie als ein kulturell institutionalisiertes Medium für Interpersonalität verwenden. Das Meadsche Konzept des "me" ist daher in eine Formulierung zu überführen, die das "me" als verallgemeinertes Darstellungsmedium beschreibt. Denn das "me" fungiert außerhalb der Individuen als ein institutionalisiertes Medium, das auch für Bilder eine verallgemeinerte Perspektive bietet, die exemplifizierten Formen ("I") scheinbar keinen Widerstand leistet.

Bezieht man den Begriff »Kollektivbewußtsein« auf die affektive Seite des Bewußtseins, so erweist sich, daß Emotionen schwerlich von Individuen eines Kollektivs gleichlaufend empfunden werden. Vielmehr überzeugt sich ein Individuum von der emotionalen Bedeutung eines Bildes, wenn es sich selbst überzeugt. Nimmt man eine emotionale Bindung an, die kulturell parallel verläuft, dann kann sie bezüglich Bildern allenfalls dort vorhanden sein, wo der kulturelle Beziehungsaspekt zu einer ausdifferenzierten Geltung kommt, die unbewußt oder bewußt erfahren wird. Demgegenüber versucht Bildkommunikation, im kommunikativen Inhaltsaspekt bewußte Emotionen zu erwecken und mitzuteilen.

Das Kapitel zur kulturellen Bedeutung legt anfangs dar, warum Bilder nicht als ein soziales System fungieren, sondern einen kommunikativen Variationsmechanismus konstituieren, der prälogische Orientierung mittels Anschaulichkeit bietet. Bilder integrieren sich in Systeme, wenn kulturelle Wertpräferenzen hinzukommen, die eine funktionale Erwartungserwartung stabilisieren, um das System »Kunst« oder »Fernsehen« zu bewahren. Die Überlegungen zum System »Fernsehen« heben hervor, daß der kommunikativ Handelnde bei vollständiger Systemintegration im System verlorengeht, weil ihm seine Handlungen (Bilder) kaum zuzurechnen sind. Die kulturelle Bedeutung der Bilder in bezug auf Systemintegration ist deshalb darin zu sehen, daß das System »Fernsehen« innerhalb des Medien-Codes »Realismus« solche Bilder differenziert, die eine symbolisch repräsentierte Fernorientierung als ikonisch präsente Nahorientierung mitteilen, ohne als Mitteilung eines handelnden Individuums zu gelten. Demgegenüber verdeutlicht die Sozialintegration die verständigungsorientierte Wirkung anwesender Bildinformation. Um diese Wirkung der Bilder zu beurteilen, erprobte ich die drei kommunikativen Handlungsbezüge, die Habermas für sprachliches Handeln entwickelte. Diese Überlegungen ergeben folgendes:

1) In teleologischer Handlungsmotivation erhält Bildkultur eine Bedeutung, die innerhalb der Sozialintegration etwas Abwesendem zur unnegierbaren Anwesenheit einer (sozialen) Kopräsenz verhilft. 2) Das normenregulierte Handeln ist für Bilder zu verneinen. Bilder erhalten ihr sozialintegratives Moment oftmals sogar dann, wenn sie Normdistanzierung vorsymbolisch ausspielen, indem sie Symbole subjektiv einsichtig unterlaufen. 3) Das dramaturgische Handeln kennzeichnet die herausragende Bedeutung der Bildkultur für Gesellschaften. Denn für diese Handlungsmotivation eignen sich Bilder besonders, weil sie der dramaturgischen Selbstinszenierung ein Medium bieten, das innenorientiertem Darstellungswillen nahezu keine konventionellen Grenzen setzt. Gleichzeitig läßt diese Wahlfreiheit die Gefahr erkennen, daß Individuen mittels Bildern lediglich Kommunikation spielen und sich zum Spaß verstehen, ohne tatsächlich soziale Orientierung zu erlangen.

Die beschriebenen Überlegungen zur kulturellen Bedeutung von Bildern trugen vor, welche Fokussierungen sich ergeben können, wenn Bilder durch Prismen soziologischer, semiotischer, wahrnehmungspsychologischer und philosophischer Theorien betrachtet werden. Wer weiß aber, ob es berechtigt ist, wenn Paul Klee bemerkt: "Man versteift sich auf Theorie, weil man das Leben fürchtet" [Klee 1956/21]. Bilder fürchten indessen die Theorie, da infolge dieser das Leben aus ihnen schwindet und die Kerne hinter den Schalen der symbolischen Überkrustung veröden [s.S. 10]. Darum schmelzen die in der Einleitung erwähnten theoretischen Eiswüsten nach wie vor in den Tropen.


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