Wo entwickelt sich die Seriosität der Netizens?
Zur Medienethik des Vertrauens in multimedialen und interaktiven Systemen

Schelske, Andreas
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In: Beyer, L.; Frick, D.; Gadatsch, A.; Maucher, I.; Paul, H. (Hrsg.):
Vom E-Business zur E-Society. New Economy im Wandel,
München und Mering: Hampp 2003 , S. 175-194

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1. Zusammenfassung

Das Thema „Vertrauen“ greift die Orientierungsdefizite sozialen Handelns auf, welches sich nicht auf die Glaubwürdigkeit der Medien, sondern auf die interaktiven Medien als einen Ort realer gesellschaftlicher Komplexität bezieht. Nicht Sicherheitstechniken motivierten Misstrauens, sondern Vertrauen in soziale Bezüge der Seriosität schaffen auch im Internet spezifische Handlungssicherheiten. So wären multimediale Systeme ohne Vertrauensleistungen zwar unterhaltsam sowie konsumierbar, böten aber selten die Möglichkeiten, Nutzen bei kalkuliertem Risiko handlungsrelevant werden zu lassen.


1.1. Ausgangspunkt: Soziales Handeln in multimedialen Systemen


Sobald Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft im gegenwärtigen „Informationszeitalter“ ihre kommunikativen Prozesse elektronisch unterstützen, beginnt soziales Handeln unter technisch veränderten Ausgangsvoraussetzungen. Zum einen sind die multimedialen Handlungsräume als auch die interaktiven Handlungsrahmen durch das Interface und die Übertragungsrate unterschiedlicher Telekommunikationsgeräte prädisponiert. Zum anderen bleibt das soziale Handeln der Akteure elektronisch vermittelt. Des weiteren expandiert die global verfügbare Information in unüberblickbarer Komplexität und Kontingenz. Vor diesem Hintergrund komplexer Informationsverhältnissen kann sich der Einzelne nicht mehr davon überzeugen, ob die Nachricht einer Wahrheit entspricht, ob sie glaubwürdig ist, ob sie einer Logik folgt oder eine Notwendigkeit infolge eines faktischen Geschehens ist. Die globalen Datenbestände haben sich in einer Komplexität und Kontingenz entwickelt, die oft die kollektiv nachvollziehbare Unterscheidung zwischen wahrem/unwahrem und logischem/unlogischem Wissen oder realer/fiktionaler Existenz verhindert.

Dem Knowledge Worker ist es beispielsweise mit genügend Wissen zweiter Ordnung – d.h. mit dem Wissen, wie man Wissen nutzt – vielfach ein Leichtes, für ein spezifisches Thema zwei sich wiedersprechende Studien aufzufinden. Ebenfalls sind Märkte der Konsumwelt so strukturiert, dass gleiche Verbrauchsgüter in unterschiedlichen Testzeitschriften voneinander divergierende Ergebnisse erhalten. Verunsichern lassen sich Internetnutzer auch hinsichtlich der persönlichen Daten, die sie beim simplen Surfen preisgeben oder gar mit Cookies aktiv zulassen. Das Vertrauen in Softwareunternehmen muss letztendlich groß sein, wenn es Akteure nach der Installation eines Softwareprogramms zulassen, dass eben jener Hersteller diverse Daten über die Konfiguration und eventuell den Nutzer erhält. Da wirkt es gar zynisch, wenn ein Unternehmen dem Anwender ein Zusatzprogramm anbietet, das es in dem Menü „Paranoia“ erlaubt, viele Nutzerspuren zu verwischen: Denn wer gründlich Misstrauen hegt, wird vermutlich verrückt werden, sobald er interaktive Systeme im Internet nutzen möchte. Wer nicht erkranken möchte, hat die Chance, in Sicherheitssysteme zu investieren. So hat sich im Netz des Misstrauens ein Zukunftsmarkt entwickelt, auf dem sich Vertrauensprodukte in kreativen Spielarten käuflich erwerben lassen.

Die aufgezeigten Beispiele verdeutlichen, wie unterschiedlich ausgerichtet die Formen des Vertrauens sein müssen, um tatsächliche oder imaginäre Risiken zu kompensieren. Insbesondere multimediale Systeme bieten dem (sozial) Handelnden eine virtuelle „Lebenswelt“, deren Unsicherheitsfaktoren und Risiken unvergleichlich höher sind als in realen Lebenswelten. Vertrauen ist deshalb einer der kritischen Faktoren für das (soziale) Handeln in multimedialen Systemen. Auf welcher Vertrauensgrundlage handeln Individuen im Internet, wenn sie die Ausgangsbedingungen als auch die Resultate ihrer Aktion nicht nach gewohnten Maßstäben ihrer alltäglichen Lebenswelt betrachten können? Von dieser Frage ausgehend, möchte ich im Folgenden aufzeigen, wie und warum Vertrauen einen Teil der Handlungsunsicherheiten absorbiert, die in der medial vermittelten Interaktion des Internets stärker auftreten als in der gewohnten Alltagswelt.

Für den Bereich ökonomisch motivierten Handelns zeigte jüngst Holger Eggs, dass Elektronic Commerce deutlich stärker Vertrauen beansprucht und auch unterstützt als das traditionelle Wirtschaften (vgl. Eggs 2001, S. 93). Beispielsweise sind gerade Empfehlungsdienste wie Amzon.com, CDNOW.com, Dooyoo.de oder Ciao.de deshalb erfolgreich, weil sie Vertrauen in private Erfahrungsberichte als einen Zukunftsmarkt für handlungsrelevante Information entwickelt haben. Die opaken Informationsverhältnisse im Konsumgütermarkt kompensieren handelnde Internetnutzer mittels ihrer Vertrauensleistung in mutmaßlich Gleichgesinnte. Ohne Vertrauen wären sie quasi paralysiert und selten bereit in irgendeiner Weise ökonomisch zu handeln, also etwas zu kaufen. Ebenso wie in der alltäglichen Lebenswelt ist Vertrauen für sie ein wesentliches Konstituens, mit dem sie ihr Handeln in künstlichen Interaktionsräumen sinnhaft orientieren. Doch auf welche Formen des Vertrauens basiert ihr handeln in künstlichen Interaktionswelten? Und warum benötigten die bisherigen, unidirektionalen Medien wie beispielsweise Fernsehen, Printmedien und Radio selten Vertrauen, sondern allenfalls Glaubwürdigkeit, um Individuen Orientierung zu bieten? Um auf diese beiden Fragen einzugehen, bedarf es zunächst einführender Überlegungen zur allgemeinen Funktionalität von Vertrauen.


2. Welche Funktion übernimmt Vertrauen in multimedialen Interaktionsräumen?

Vertrauen ist zunächst eine aktive psychische Leistung, die mitunter Technologien und spezifischen Zeichen aber vor allem Individuen, Gruppen, Unternehmen oder ähnlichen Sozialstrukturen entgegengebracht wird. Individuen finden es nicht mittels einer Suchmaschine im Internet. Vertrauen kann von Individuen erbracht, geschenkt oder erwiesen werden. Wer Vertrauen erweist, ist bereit, unter dem Risiko zu handeln, dass er die sozialen sowie technischen Ausgangsbedingungen und Konsequenzen seines Handelns nicht vollständig überblickt. Gerade durch den Einsatz des Vertrauens in beispielsweise eine Computertechnologie, Information oder Sozialstruktur, gesteht er sich selbst zu, ein meist bewusstes Informationsdefizit in Kauf zu nehmen, um trotzdem handeln zu können. Ohne diese Kompensation von Informations und Orientierungsdefiziten durch Vertrauen wäre der Computer als auch das Internet selten ein Ort, an dem Individuen aktiv handeln und Entscheidungen treffen.

Vertrauen variiert zwar mit den Handlungsbezügen, in denen es erbracht wird, aber in seinen Charakteristika bleibt es homogen. Eine einfache Situation des Vertrauens entsteht beispielsweise folgendermaßen. Eine Computernutzerin möchte sich neue Hardware kaufen. Zwar hegt sie die Zuversicht, dass die imagereichen Marken wie beispielsweise Intel und Sony eventuell dafür sorgen, das Risiko eines Fehlkaufs zu minimieren, aber die Produktinformationen hinsichtlich der Praxistauglichkeit scheinen ihr trügerisch. Aus diesem Grund sucht sie nach Newsgroups, von denen sie erwartet, dass sie die informativsten als auch ehrlichsten Verbraucherberichte findet. Denn von Newsgroups im Usenet nimmt sie an, dass dort keine Informanten schreiben, die ein kommerzielles Marketinginteressen vertreten, sondern so aufrichtig wie ihnen möglich über ihren selbst genutzten Computer berichten. Die Handelnde kauft schließlich einen spezifischen Computer, weil sie mehreren Mails vertraut, die die Praxistauglichkeit des Computers loben.

Mit dem Kauf des Computers ging die Anwenderin ein vorangegangenes soziales Engagement ein: Sie hat infolge der Praxisberichte den Kauf getätigt und vertraut darauf, dass sich die positiven Newsgroupbeiträge als zutreffend erweisen. Hätte sie bloß die Glaubwürdigkeit der Berichte eingeschätzt, wären diese für sie nicht handlungsrelevant geworden. Erst in dem Moment, in dem sie der Empfehlung der Praxisberichte vertraut, fällt sie ihre Entscheidung im Vertrauen darauf, dass die alltagserfahrenen Computernutzer zutreffender die Informationen über den Computer einschätzen können als sie selbst. Auf diese Weise reduziert Vertrauen die Komplexität der potentiell möglichen und entscheidungsrelevanten Informationen. Zudem verdeutlichen Newsgroups im Usenet, wie Vertrauen eine wichtige „Socialware“ (vgl. Hattori et. al,. 1998) hinsichtlich der kooperativen Filterung von entscheidungsrelevanten Informationen sein kann. Mitunter übernimmt die Socialware sogar eine so starke Relevanz, dass Konzerne sich außerstande fühlen, ihre Unternehmenskommunikation vertrauenswürdiger als Verbraucherberichte zu gestalten.

a) Vertrauen reduziert Komplexität

Unter Einsatz der sozialen Strategie des Vertrauens erzielen Individuen mehre Vorteile im praktischen Handeln. Zunächst ist die individuelle Orientierung zu nennen. Wer vertraut, ist gewillt oder gezwungen, darauf zu verzichten, die Ursachen und Auswirkungen seines Handelns in ganzer Komplexität zu kontrollieren. Im Vertrauen baut er darauf, das andere über das Bescheid wissen, was er selbst nicht weiß. Insofern überwindet ein Individuum mittels Vertrauen seine eigene Ungewissheit, um zügig zu einer Entscheidung bzw. Handlung zu kommen. Vertrauen setzt auf diese soziale Strategie, einen angenommenen oder tatsächlichen Informationsmangel zu kompensieren. In der multimedialen Wissensgesellschaft erfüllt Vertrauen daher die Aufgabe, trotz der komplexen Informationsflut rasch Orientierung zu finden. Ein Internetakteur kann kommunikativ oder ökonomisch handeln, ohne dass es nur im Entferntesten weiß, welche Konsequenzen sein handeln in technischen und sozialen Systemen hat. Vertrauen wiegt ihn in der Selbstsicherheit, dass sein angestrebtes Ziel, wie erwartet eintreten wird, obwohl er weiß, dass das Eintreten des Ziels von intransparenten Strukturen abhängt.

b) Vertrauen beschleunigt Handeln

Den zweiter Vorteil erbringt Vertrauen infolge der Zeitminimierung für das eigene Handeln. Derjenige der misstraut, der verliert Zeit während des Bestrebens, Strukturen zu durchschauen oder sichere, handlungsrelevante Information zu erhalten. Vertrauen macht schnell, Kontrolle dauert länger. Mittels erbrachten Vertrauen umgehen Individuen einerseits ihr angenommenes Informationsdefizit, und wirken andererseits dem potentiellen Zeitverlust bei ihrer Entscheidungsfindung drastisch entgegen. In einer Terminologie der Geschwindigkeit beschrieben, lässt sich annehmen, dass Vertrauen das praktische Handeln von Individuen beschleunigt, indessen Mißtrauen sowie Unvertrauen es verlangsamt. Virtuelle Teams profitieren beispielsweise von swift trust (Sofortvertrauen) in ihre soziale Organisationsstruktur, um ohne Umwege das Thema ihrer Zusammenarbeit anzugehen (vgl.: Meyerson et. al., 1996).

c) Vertrauende erwarten eine sichere Zukunft

Der dritte Aspekt des Vertrauens zeigt sich darin, dass jemand, der vertraut, Zukunft vorweg nimmt. „Er handelt so, also ob er der Zukunft sicher wäre.“ (Luhmann 2000, S. 9) Individuen nehmen diese Handlungssicherheit im Vertrauen darauf an, dass das Handlungsziel so eintreten wird, wie sie es selbst erwarten. Sie erwarten daher, eigene Risiken reduziert zu haben, indem sie es anderen überantwortet haben. Scheitert der andere an den übergebenen Risiken kommt es zum Vertrauensbruch. Vertrauensbruch beinhaltet die Nichterfüllung von Erwartungen.

d) Vertrauen impliziert Risiken

Der vierte Aspekt betrifft das Risiko des im vertrauen Handelnden. Jemanden zu vertrauen impliziert, das Risiko einzugehen, die Zukunft unzutreffend zu erwarten. Beispielsweise tritt das erwartete Handlungsziel nicht ein, weil ein mit Vertrauen bedachtes Mitglied eines virtuellen Teams unzureichend informiert war. Vertrauensverlust oder gar Mißtrauen gegenüber diesem virtuellen Mitglied tritt dann vermutlich zügig ein und ist nur durch besondere Zusatzleistungen auszugleichen, um die aufgezeigten Vorzüge des Vertrauens als Socialware zu nutzen. Grundsätzlich ist Vertrauen an das Risiko gebunden, falsch zu handeln bzw. eine unrichtige Entscheidung zu treffen. Vertrauen steht daher in deutlicher Abhängigkeit der jeweiligen Risikokommunikation und individuellen Risikoeinschätzung. Erst in diesem risikobereiten Handeln zeigt sich der Akteur als ein vertrauender.

Im Ecommerce lässt sich beispielsweise eine angemessene Kundenzufriedenheit und Kundenbindung kaum erzielen, sobald die Kompetenz und Zuverlässigkeit des Anbieters in Frage steht. Abbildung 1 veranschaulicht schematisch, wie bei als unsicher geltenden Geschäften im Internet ein hohes Vertrauen mit dem Risikokalkül des zu erwartenden Nutzen verbunden sein kann. Sofern geschäftliches Handeln erforderlich ist, bezieht sich Vertrauen auf die wechselseitige Relation des jeweiligen Nutzens und des möglichen Risikos. Erst in diesem risikobereiten Handeln zeigt sich der Akteur als ein vertrauender.

Abbildung 1: Nutzen versus Risiko (nach:Frank Reese)

Handeln in multimedialen System impliziert keineswegs „blindes Vertrauen“, sondern stets riskiertes. Die Internetakteure bemühen sich mittels Vertrauen innerhalb multimedialer Systeme, eine soziale Ordnung und virtuelle Sinnwelt zu stabilisieren und zu sichern (vgl. Misztal 1996, S. 11). Auf diese Weise kompensieren sie den alltäglichen Informationsreichtum, den sie bei körperlicher Kopräsenz der Interaktionspartner kennengelernt haben. Im Vergleich zur Kommunikation in virtuellen Räumen bietet die Face-To-Face Kommunikation zwar noch wesentlich informationsreichere Anzeichen dafür, dass jemand vertrauenswürdig handelt (vgl. Greenspan et. al., 2000). Doch zunehmend entwickeln sich Telepräsenz und Telematik zu einer zweiten sozialen Standardsituation, in der sich Vertrauen auf sehr unterschiedliche soziale Organisationsstrukturen ausrichtet (vgl.: Schetsche, 2001). Je nach dem welche qualitativen und quantitativen Informationen hinsichtlich der sozialen oder technischen „Organisationsstruktur“ des Vertrauens zu erreichen sind, bilden sich unterschiedliche Zeichen und Sozialstrukturen des Vertrauens aus.
Wie sich die medienspezifischen Ausprägungsformen des Handels im Vertrauen innerhalb interaktiver Systeme entwickelt haben, möchte ich im folgenden aufzeigen. Zuvor ist kurz darzulegen, warum unidirektionale Kommunikationsmedien mit der wesentlich risikoärmeren Einschätzung der Glaubwürdigkeit auskommen und auf (soziales) Handeln als Konstituens verzichten.

2.1. Handeln im Vertrauen versus Glaubwürdigkeit erleben

Die interaktiven Kommunikationsmedien haben die globale Medienlandschaft grundlegend verändert. Interaktive Medien lassen sich im Gegensatz zu klassischen Push-Medien - wie z.B. das Fernsehen - nicht ausschließlich passiv erleben, sondern sie sind ein virtueller Raum, in dem Individuen aktiv handeln. Ohne Handeln – und wenn es nur Mausklicks sind – passiert nichts im Internet. Diesen besonderen Unterschied zwischen Erleben und Handeln haben Kommunikationswissenschaftler übersehen (vgl. Rössler, 1999). Sie untersuchen bis heute Glaubwürdigkeit der interaktiven Medien auf gleiche Weise, wie seit Jahrzehnten klassische, unidirektionale Medien evaluiert wurden. Glaubwürdigkeitsforschung trägt jedoch nur dazu bei, die Erlebnisqualität von klassischen, unidirektionalen Medien zu messen. Diese Art der Forschungsrichtung trägt den multimedialen Orten des interaktiven Handelns in keiner Weise Rechnung. Wie begründet sich dies?

Der Ausgangspunkt der Kommunikationswissenschaft ist meist ähnlich. Glaubwürdigkeit sei kein vorfindbarer Zustand des Kommunikators, sondern eine vom Rezipienten zugeschriebene oder attribuierte Eigenschaft (vgl.: Schweiger 1998). Mit dem Attribut „Glaubwürdigkeit“ schätzen Mediennutzer demnach anhand der sogenannten CARS-Kriterien ein, bis zu welchen Graden sie die vom Kommunikator angebotenen Nachrichten glauben. Zu den vier grundlegenden CARS-Kriterien gehören:

  • Glaubwürdigkeit „credibility“: Bewertung des Autors hinsichtlich Bildung, Organisationszugehörigkeit und berufliche Position
  • Genauigkeit „accuracy“: Mitteilung des Entstehungsdatums sowie der Versionshistorie der Quellen. Zielpublikum und Zweck der Veröffentlichung
  • Vernünftigkeit „reasonableness“: Fairness in der Argumentation, eigene Voreingenommenheit prüfen, Schlüssigkeit und Widerspruchsfreiheit der Information
  • Belege „support“ (vgl. Harris, 1997; Rössler, 1999, S. 10)

Die CARS-Kriterien heben hervor, dass mit der Glaubwürdigkeit eines Sendeformats lediglich der selbstreferente Sinngehalt eines Medienbetrags geprüft wird. Wie und warum Individuen handeln sollten, geben die CARS-Kriterien zweifelsohne nicht an. Das Publikum prüft den selbstreferenten Sinn der Beiträge nach Genauigkeit, Glaubwürdigkeit usw., um die erfahrbaren Qualitäten des eigenen (Medien-)Erlebens einzuschätzen. An diesem Punkt des Erlebens und Handelns kristallisiert sich die Differenz von Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Im „Erleben aktualisiert (sich) die Selbstreferenz von Sinn“, indessen sich im „Handeln die „Selbstreferenz sozialer Systeme“ (Luhmann, 1987, S. 124) aktualisiert. Mit anderen Worten: Mediennutzer überprüfen mittels der Thematisierung von Glaubwürdigkeit ausschließlich den Sinngehalt eines Medienbeitrags. Indessen integrieren sich Anwender interaktiver Medien mittels Vertrauen in soziale Systeme, in denen sie aktiv handeln und damit verbundene Risiken auf sich nehmen.

Unidirektionaler Medienkonsum ermöglicht risikoloses Erleben. Als Mediennutzer konsumieren wir beispielsweise sogar unglaubwürdige Medienbeiträge, ohne dass wir uns in unserer Alltagsorientierung und -pragmatik beeinträchtig fühlen. Eventuell ist es in manchen Situationen informativer und interessanter, glaubwürdige Medienbeiträge zu sehen. Doch die Einschätzung von Glaubwürdigkeit hat per se keine notwendige Handlungsrelevanz. Aufgrund der mangelnden Konsequenzen, die die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit hinsichtlich der Medien hat, verunsichert es Rezipienten auch kaum, die Informationen der unidirektionalen Medien zu konsumieren, denen sie eine mittlere oder gar geringe Glaubwürdigkeit zuschreiben. Eher im Gegenteil schützt die Einschätzung der Glaubwürdigkeit den Rezipienten davor, sich verunsichern zu lassen. Unterstellte Unglaubwürdigkeit übernimmt deshalb die Schutzfunktion, etwas zu erleben, ohne eine Konsequenz im sozialen Handeln ziehen zu müssen.

Gegenüber der Einschätzung der Glaubwürdigkeit birgt Vertrauen die Qualität der sozialen Bezugnahme. So schenkt jemand Vertrauen auf das eigene Risiko hin, enttäuscht zu werden und einen Schaden bei Fehleinschätzung davon zu tragen. Demgegenüber ermöglicht Vertrauen gerade deshalb (soziales) Handeln, weil es die Einschätzung der Wahrheit, Überprüfbarkeit und Logik eines Medienbeitrags irrelevant werden läßt. Obwohl es zunächst eine empirisch zu überprüfende Hypothese ist, liegt es für interaktiven Multimediasysteme nahe, dass „Wahrheit“ durch Vertrauen als ein Orientierungsparameter für soziales Handeln ersetzt wird. Zwar lassen sich die Top 10 Kriterien der Informationsqualität benennen, aber kein Nutzer multimedialer Systeme nimmt sich Zeit, sie systematisch abzuarbeiten.
Aufgrund des Zeitmangels- und der Wissenskomplexität in der Informationsgesellschaft übernehmen beispielsweise einzelne Internetanbote eine informationsfilternde Funktion, die das Vertrauen der Akteure mit praktikablen Ratschlägen gewinnen. Solche Portale, Newsgroups und Websites fungieren quasi als „Knowledge-Trust-Center“, indem sie handlungsrelevante Information von irrelevanten unterscheiden. Eine vergleichbare mediale Funktion wie das Internet konnten die klassischen Medien nur bedingt einnehmen. Nicht mehr Wahrheit oder Glaubwürdigkeit gibt Orientierung, sondern das Vertrauen, das Akteure ihrem Informationsanbieter schenken. Auch in Newsgroups und Mailinglisten gelten Privatpersonen als vertrauenswürdige Kompassnadeln im Konsumdschungel. Vertrauen in diese Socialware gehört zu den grundlegenden Ressourcen, um in multimedialen Systemen handlungsfähig zu bleiben.
In dem Punkt der Überwindung von Informationsdefiziten unterscheiden sich bidirektionale Medien von unidirektionalen Medien deutlich: Wer vertraut, hat eine Handlungsabsicht. Wer lediglich die Glaubwürdigkeit eines Medienbeitrags einschätzt, bildet sich eine Meinung ohne weitere Konsequenzen zu unternehmen. Er konsumiert die Information, die der Medienbeitrag in seine Richtung anbietet

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3. Formen des Vertrauens in multimedialen und interaktiven Systemen

Eigentlich bezieht sich Vertrauen auf „andere“. In speziellen Fällen zielt es auf technische sowie materielle Objekte. Selten ist Vertrauen eine besondere Frage des Designs einer Website. Design signalisiert meist Vertrautheit oder Vertrauenswürdigkeit, die beide nur die Bereitschaft zum Vertrauen erhöhen können (vgl. Karvonen, Parkkinen, 2001; Cheskin Research, 1999). In welchen spezifischen Formen sich Vertrauen auf „etwas“ innerhalb interaktiver Medien ausrichtet, möchte ich Anlehnung an die Unterscheidungen von Sztompka (1999, S. 41ff.) aufgreifen. Im Anschluß an folgende Benennung der Vertrauensformen werde ich jede einzelne erläutern.

1. Interpersonales Vertrauen
2. Vertrauen in soziale Gruppen
3. Vertrauen in soziale Kategorien
4. Vertrauen in strukturale Rollen
5. Institutionelles Vertrauen
6. Prozedurales Vertrauen
7. Symbolvertrauen
8. Systemvertrauen
9. Vertrauen in technologische Systeme

Diese Vertrauensformen implizieren selten, dass sie isoliert voneinander fungieren, vielmehr greifen sie insbesondere im Internet ineinander oder durchdringen sich wechselseitig.

3.1. Interpersonales Vertrauen

Interpersonales Vertrauen benennt die größte Hürde in interaktiven Medien, weil es alltäglicherweise mit der Kopräsenz der Face-To-Face Situation und der sozialen Identität der Aktionspartner entsteht. In bisher seltenen Ausnahmefällen stellen Akteure in multimedialen Systemen ihre soziale Identität mittels geprüfter Identitätsausweise und den dazugehörigen Lesegeräten her. Auf Kopräsenz müssen Internetakteure verzichten. Doch gerade Kopräsenz bietet den so vertrauenserweckenden Informationsreichtum (Informations Richness: vgl. Daft et. al., 1986), den Personen preis geben, wenn sie ihre Stimme, ihre Gesten, ihre körperliche Ausdrucksmöglichkeiten, ihre Kleidung, ihre Hautfarbe, ihr kulturelles Kapital usw. unbeabsichtigt präsentieren. Bereits an der Interaktion in Kopräsenz ist zu erkennen: je mehr der physisch präsente Informationsreichtum abnimmt desto schwieriger ist interpersonales Vertrauen in Personen zu erzielen. Um die Verbindlichkeit der herkömmlichen Face-To-Face Kommunikation zu substituieren, sind Internetnutzer oftmals bereit, informationsärmere Zeichen heranzuziehen oder sozial vernetztere Vertrauensformen als Garanten zu nehmen. Sind Nutzeridentität sowie sozial vernetzte Vertrauensindikatoren, wie z.B. Unternehmenszugehörigkeiten, spezifische Berufsrollen, nicht zu erzielen, dann sind für interpersonales Vertrauen folgende Kriterien von besonderer Relevanz:

  • Kommunikative Performanz und Kompetenz des Mitteilenden wie des Adressaten (Beherrschung der multimedialen Kommunikationstechnik)
  • Kontextsicherheit und inhaltliches Involvement des Mitteilenden (z.B. Beherrschung des Themas)
  • Kongruenz der kommunikativen Beziehungs- und Inhaltsaspekte beider beteiligten Personen

Alle drei Kriterien benennen sehr sensitive Informationsmöglichkeiten, um Vertrauensbeziehungen zu ermöglichen. Interpersonales Vertrauen baut zwar auch auf Identität, doch eine entsprechende, elektronische Identitätskarte kann den Effekt physischer Präsenz nicht ersetzen. Identitätskarten erhöhen nur das Vertrauen in die personale Zurechenbarkeit einer Information, sie erhöhen beispielsweise nicht das Vertrauen in die Kompetenz eines Individuums. Trotzdem kann der persönliche Wert in einer Mail wesentlich größeres Vertrauen genießen als die Information einer bekannten Zeitungsagentur beispielsweise, weil letztere selten den unverfälschten, nicht redaktionell überarbeiteten Blick nur eines einzigen Individuums veröffentlichen.

3.2. Vertrauen in eine soziale Gruppe

Vertrauen in eine soziale Gruppe nimmt Bezug auf eine Pluralität von Personen, die sich miteinander verbunden meinen oder fühlen (vgl. Sztompka, 1999, S. 43). Beispielsweise vertrauen sich die Teilnehmer einer Mailingliste hinsichtlich der sensiblen Informationen, die sie austauschen und die nicht extern kommuniziert werden soll. Oder die Teilnehmer einer Newsgroup vertrauen sich darin, ein Problem einer Open Source Software in Teamarbeit zu lösen. Beide Beispiele rekurrieren darauf, dass Ansätze einer virtuellen Community anzutreffen sind, deren kooperative Infrastruktur auf soziales Vertrauen beruht. Mit anderen Worten bietet Vertrauen in eine Gruppe eine Socialware, die darauf basiert:

  • zu wissen, wer etwas weiß
  • abzuschätzen, was der kooperative Kontext ist
  • sich mit der laufenden Diskussion zu identifiziert
  • Problemlösungs- u. Handlungskapazitäten der Gruppe abschätzen zu können (vgl. Hattori et. al., 1998, S. 330)

Vertrauen in eine soziale Gruppe hat vermutlich die Kraft, andere Vertrauensarten zu beeinflussen oder gar zu überdecken. Beispielsweise haben Unternehmen größte Schwierigkeiten, die Meinungsführerschaft von privat geäußerten Mitteillungen in einer Newsgroup zu entkräften, weil innerhalb dieser Gruppen mitunter eine Form von überzeugter Seriosität gepflegt wird, die unternehmerische Professionalisierung nur vorspielen kann. Ebenfalls ist Sofortvertrauen („Swift Trust“: vgl. Meyerson et. al., 1996) ein Beispiel dafür, wie interpersonale Vertrauensbeziehungen zu Gunsten der Gruppe übergangen werden können. Das Vertrauen in die Gruppe - nicht in die Person - garantiert hier das Gelingen der Kooperation. Ebenfalls verliert interpersonales Vertrauen seinen Vorrang, sobald die moralische Selbstkontrolle einer Netikette für die Rechtschaffenheit einer virtuellen Gruppe steht. Allerdings zeigt der Fall der Netikette auch, dass soziale Regel und Kontrollen dazuführen können, Vertrauen in die Gruppe durch Vertrauen in moralische Institutionen zu ersetzten. Hinsichtlich moralisch motivierten Handelns fällt zudem auf, dass soziale Gruppen, wie beispielsweise die NGOs www.indymedia.org oder www.motherearth.org gerade deshalb um Vertrauen in moralische Institutionen ringen, weil sie Menschen ansprechen möchten, die tatsächlich handeln und die nicht bloß erschauern vor der Ungerechtigkeit in der Welt.


3.3. Vertrauen in soziale Kategorien

Kann man einem OS/2 oder einem Modem-Nutzer noch vertrauen? Auch in virtuellen Interaktionsräumen fließen soziale Kategorien in soziales Handeln ein. Beispielsweise hängt Vertrauen bzw. Mißtrauen davon ab, auf welches Geschlecht die Emailadresse verweist; auf welche Rasse und Land die Toplevel-Domain der Mailadresse hindeutet; welche Sprache jemand spricht oder welches Betriebs- oder Mailsystem er nutzt. All diese sozialen Kategorien basieren zumeist auf Stereotypen und Vorurteilen (vgl.: Sztompka, 1999, S. 42). In virtuellen Interaktionssystemen erzeugen soziale Kategorien vermutlich unerwartet Vertrauen, da bisher nur wenige Stereotypen vorherrschen, die besagen könnten, ob Linux, Windows oder Macintosh-Nutzern zu vertrauen ist. Wer weiß schon, dass AOL-Nutzer einen missgünstigen Spitznahmen in Usenetgroups haben und dort selten großes Vertrauen genießen, weil sie meist unorientierte Newbees (Newest Members) im Internet sind. Alltägliche Stereotypen zeigen vermutlich deutlicher ihre Wirkung als die spezifischen des Internets, jedoch sind sie leicht von Nutzern zu fingieren. Beispielsweise lässt sich die soziale Kategorie „Deutscher“ mit einer fingierten Emailadresse vortäuschen. Wie sich stereotypische Vorurteile gegenüber sozialen Kategorien im virtuellen Systemen auswirken, ist bisher unsicher, da sie im sehr ausdifferenzierten Internet kaum allgemeine Bekanntheit erzielen.

3.4. Vertrauen in strukturale Rollen

Eine weitere Stufe des Vertrauens bezieht sich auf strukturale Rollen. In der alltäglichen Lebenswelt gehören strukturale Rollen zu Bestandteilen sozialer Systeme. Solche Rollen sind beispielsweise Mutter, Doktor, Richter, Pastor oder Autoverkäufer, Bankangestellter usw. Vergleichbare strukturale Rollen treffen Akteure auch im Internet an. Beispielsweise kann der Webmaster, Programmierer oder Diskussionsleiter mit Vertrauen bedacht werden. Doch selten finden sich klassische Rollen im virtuellen Raum unverwandelt wieder: Bei der Kirchenpage trifft der Nutzer keine Pastoren, bei der virtuellen Bank keine Schalterbeamten und Autoverkäufer bleiben anonym. Selbst auf privaten Homepages ist es oft uneindeutig, welche strukturalen Rolle jemand beispielsweise im Berufsleben einnimmt. Viel deutlicher zeigt sich auf privaten Sites, dass jemand Vertrauen genießen möchte, wenn er die strukturale Rolle des Taubenzüchters, des Kinderschokoladen-Überraschungsei-Sammlers, des Literatur- oder Musikfreaks usw. einnimmt. Diese private Rollenmobilität koppelt sich an eine mediale Veröffentlichungspraxis, die erst mit dem Internet auch interaktiv vermitteltes Vertrauen genießen konnte. Zu untersuchen wäre, warum Vertrauen auf professionelle Websites selten über strukturale Rollen erzielt werden soll, indessen private Homepages auf strukturale Rollen und das damit verbundene Vertrauen größten Wert legen.

3.5. Institutionelles Vertrauen

Schulen, Universitäten, politische Parteien, Banken oder die Polizei genießen je nach gesellschaftlicher Stellung institutionelles Vertrauen. Bei dieser Vertrauensform transferieren die Institutionen ihren sozialen Organisationsgrad nahezu ungebrochen in die virtuelle Welt, so dass Akteure sich vermutlich selten auf entsprechenden Websites verunsichern lassen. Wie sich institutionelles Vertrauen in der virtuellen Welt stabilisiert, hängt sicherlich davon ab, welches Vertrauen die Institutionen ansonsten in der Gesellschaft genießen. Andererseits entstehen im Internet veränderte Institutionen, die sich an Normen, Moral, Kapital, Herrschaft und Hierarchien koppeln. Beispielsweise genießt die Domain Verwaltungsgesellschaft „DENIC“ weitgehendes Vertrauen hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit.

3.6. Prozedurales Vertrauen

Prozedurales Vertrauen definiert Sztompka (vgl. 1999, S. 44) als eine Variante des institutionellen Vertrauens. Er begründet dies damit, dass sich Institution für gewisse Prozeduren verbürgen und damit für Vertrauen in diese Abläufe sorgen. Beispielsweise verbürgt die wissenschaftliche Prozedur der „Peer Review“ eine gewissen Qualität des Beitrags. In interaktiven Systemen könnte beispielsweise die Prozedur demokratischer Wahlen dafür sorgen, dass Netizens darauf vertrauen, dass Mehrheitsinteressen tatsächlich vertreten werden. Doch bisher sehen Wähler in den technischen Systemen sowie der Datenübertragung eine mögliche Manipulationsgefahr. Die Vertrauenswürdigkeit der Institution reicht daher nicht aus, prozedurales Vertrauen in elektronische Stimmabgabe zu stabilisieren. Soweit ich gegenwärtig sehe, scheint keine rein netzspezifische Institution vorzuherrschen, die prozedurales Vertrauen für den Großteil der Netizens stabilisiert. Demgegenüber existieren eine Vielzahl spezialisierter Reputationsdienste, die unterschiedliche Prozeduren einhalten, um die Vertrauenswürdigkeit bei Geschäftsabwicklungen zu prüfen. So verteilt D&B (www.dnb.com) eine sogenannte D-U-N-S Nummer, mit der Empfehlungen eingeholt werden können, in welcher Weise ein Geschäftspartner für eine Transaktion geeignet ist. Diese Prozedur von D&B erzielt Vertrauen, weil das Geschäftsverhalten eines Akteurs transparent bleibt und gewissenhaft geprüft wird.

3.7. Symbolvertrauen

Das Ringen um Vertrauen in symbolisierte Sozialstrukturen betrifft sehr viele Aktivitäten im Internet. Beispielsweise symbolisiert das zertifizierte Gütesiegel „Trusted Shops“, dass die Daten- und Liefersicherheit im Ecommerce gewährleistet wird. Produktmarken möchten beispielsweise dafür bürgen, dem Konsumenten stilsichere, haltbare, schöne und qualitätsvolle Produkte zu überlassen. Wer einer solchen symbolischen Struktur vertraut, der erwartet, dass aufgrund eines Prüfzeichens oder einer Produktmarke viele Risiken eines Produkts ausgeschlossen sind. Er erwartet auch, dass er dem Symbol selbst vertrauen kann - allerdings besteht genau darin das vertrauens-immanente Risiko. Denn Vertrauen in Symbole beinhaltet keineswegs auch vertrauenswürdige Prozeduren der Produktherstellung.
Beispielsweise wirbt ein Unternehmen um das Vertrauen in produzierte Notebooks. Uninformiert Käufer vertrauen vermutlich darauf, dass viele Komponenten von dem Unternehmen selbst hergestellt werden und nicht von irgendeinem beliebigen Hersteller kommen. Öffnet der Käufer jedoch das Gehäuse seines Notebooks wird er feststellen, dass kaum ein Bauteil von dem Unternehmen selbst hergestellt wurde. In diesem Fall entsprach der Gegenstand des symbolisierte Vertrauen nicht dem tatsächlichen Inhalt – Misstrauen könnte eine Folge sein.

Die Website des Hardwareherstellers zeigt auch beispielhaft den Transfer symbolisierten Vertrauens auf: Mit seinem guten Namen empfiehlt das Unternehmen die Umfragen eines Online-Marktforschungsinstitut. Vielen sozialwissenschaftlichen Online-Forschern blieb aber nicht verborgen, dass jenes Marktforschungsinstitut selbstselektive Umfragen veranstaltet, die dem Anspruch an Wissenschaftlichkeit nicht Stand halten. Dies Beispiel zeigt, wie markenhafte Symbole insbesondere im Internet das Vertrauen der Nutzer auf nahezu beliebige Produkte transferieren. Denn das Publikum soll darauf vertrauen, ein guter Computerhersteller könne ebenfalls brauchbare Umfragen empfehlen.

Der zunehmende Vertrauenstransfer von einem Symbol (Marke) auf ein anderes Symbol (Marke) übernimmt die Funktion, dem Akteur innerhalb des komplexen Internets in Sicherheit zu wiegen und ihm Navigations- sowie Handlungsorientierung zu bieten. Seinen Marktwert erhält Vertrauen in Symbole darüber, zu welchen sozialen und vor allem ökonomischen Handlungen es die Akteure im Internet motivieren kann. Werden Akteure von Symbolen enttäuscht, wird es dem Marketing überlassen, wie es neue, wieder vertrauenswürdige Symbole für eventuell gleiche Produkte erfindet. Symbolischer Vertrauenstransfer schafft Flexibilität.


3.8. Systemvertrauen

Wer den sozialen Systemen vertraut, der erwartet eine stabilisierte Zukunft, in der außer Frage steht, ob Menschen zukünftig ein Rechtssystem haben werden, ob Geld immer ein Zahlungsmittel bleiben wird oder ob Wissenschaft weiterhin den Versuch unternimmt, etwas Wahres auszusagen. Systemvertrauen setzt Vertrauen nicht in spezifische Personen voraus, sondern in das Funktionieren der sozialen Systeme selbst (vgl. Luhmann, 2000, S. 64). Insofern betrifft Systemvertrauen auch die virtuellen Interaktionswelten, von denen zu erwarten ist, dass sie auch zukünftig die Kommunikation der Weltgesellschaft übermitteln.

3.9. Vertrauen in technologische Systeme

Ursprünglich war das Internet eine Erfindung des Misstrauens gegenüber zentraler Steuerungsgewalt und Kontrolle (vgl. Bechter, 2001, S. 128). Das amerikanische Militär wollte eine technische Infrastruktur, deren Vernichtungssicherheit in der Vermeidung einer leicht verwundbaren Hierarchie lag. Kommunikation sollte in alle Richtungen auch dann noch möglich sein, wenn einzelne Knotenpunkte ausfielen. Das Internet erlangte das Vertrauen des Militärs, weil es infolge seiner Struktur einerseits ein technisches Befehlsmonopol verunmöglichte, und andererseits ein sozial organisatorisches Befehlsmonopol beließ. Mit anderen Worten, das Militär misstraute ihrer Kommunikationstechnik, weil es vermutete, die unsichere Technik könne das Vertrauen in die militärische Sozialstruktur angreifen.
Vergleichbar der Motivation des Militärs entstehen die spezifischen Sicherheitssysteme der Datenübertragung als auch der Authentifizierung im Internet. Die Netizens drängen auf technische Sicherheitssysteme, weil sie der Kommunikationstechnik misstrauen: sie spüren quasi das Risiko, dass die Sozialstruktur selbst als auch das Vertrauen in diese in Gefahr sein könnte. Beispielsweise dienen Identifizierungs- und Authentifizierungsmechanismen ausschließlich dazu, Vertrauen in soziale Identität herzustellen, weil diese aufgrund der virtuellen Kommunikationstechnik simuliert werden könnte. Kryptografie symbolisiert die Furcht davor, dass unverschlüsselter Datentransfer die Privatheit eines multimedial vermittelten Gesprächs nicht garantieren kann. Alle Sicherheitssysteme sind darauf ausgelegt, die ursprüngliche, private Sozialstruktur des Vertrauens herzustellen, weil die Netizens der Kommunikationstechnik in den Teilen misstrauen, in denen die Integration in die geschützte Sozialität der Anderen angegriffen werden könnte.

Die von sich aus anonymisierten Hackerszenen oder die globalen agierenden Newsgroupcommunities verzichten selbstverständlich auf Sicherheitssysteme: Sie vertrauen ihrer Computertechnik als auch dem Internet. Denn für sie steht die verbindliche Kommunikation und nicht die verbindliche Sozialintegration im Interessenfocus. Das Internet offenbart hier den Widerstreit zwischen denjenigen, die sich verbindlich vergesellschaften möchten und denjenigen, die repressions- sowie herrschaftsfrei kommunizieren möchten. Denn wer vertrauenswürdige Handlungsorientierungen mitteilt, der möchte dann anonym bleiben, wenn er seiner repressionsbereiten Sozialstruktur misstraut. Wer indessen stabile Sozialstrukturen schaffen möchte, der misstraut dann der Kommunikationstechnik, wenn sie den Angriff auf den individuellen oder kollektiven Sozialstatus ermöglicht. Letztere Figur lässt sich auch anders lesen: Wer Sicherheitstechniken benötigt, um der multimedialen Kommunikation zu vertrauen, der misstraut der gesellschaftlichen Sozialstruktur, in die er sich integriert meint.


4. Perspektiven des Vertrauens in multimedialen und interaktiven Systemen

Bei Vertrauen handelt es sich um eine moralische Qualität der sozialen Bezugnahme (vgl. Köhl, 2001, S. 114). Mit „Glaubwürdigkeit“ beschrieb ich eine traditionelle Medienwirklichkeit, deren Sinngehalt ausschließlich für den Konsum relevant war. Diese unidirektionalen Medien kommunizieren „Wahrheit“ als ein Unterhaltungswert, aber selten als eine soziale Handlungsorientierung. Vertrauen verdeutlichte indessen, dass Akteure in medial vermittelte Sozialräume einsteigen, um dort ihr Handeln auf den Sinn von Sozialsystemen zu beziehen. Soll diese Medienorientierung unter dem Gesichtspunkt einer Verantwortungsethik beschrieben werden, ist zu erwarten, dass in der „E-Society“ eine moralische Wertverschiebung stattfindet, bei der Glaubwürdigkeit und „Wahrheit“ der Medien durch Vertrauen in die Seriosität der Sozialstrukturen ersetzt wird. Es existieren deshalb nur zwei Seiten der Münze „Vertrauen“. Zum einen bietet die soziale Interaktion im Internet handlungspragmatische Orientierung, weil sie die weitgehend herrschaftsfreie Kommunikation im Vertrauen darauf erlaubt, mehr oder weniger repressionsfrei zu handeln. Andererseits bietet die Interaktion im Internet nur dann die Möglichkeit einer Vergesellschaftung, wenn sich zurechenbare Identitäten in eine transparente Sozialstruktur einbetten. Abstrakter gesagt: Entweder Individuen vertrauen der herrschaftsfreien Handlungsorientierung im Internet und misstrauen ihrer Sozialstruktur oder sie vertrauen ihrer Sozialstruktur und misstrauen dem unbeherrschbaren Internet. Beides zugleich scheint genauso fiktional wie die Unmöglichkeit einer herrschaftsfreien Gesellschaft.


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